Trojanische
Pferde
Vor
zwei Jahren verglich Prof. Rüdiger Lautmann die Homo-Ehe mit einem "trojanischen
Pferd", das von den Homopolitikern in die Festung des Patriarchats eingeschleust
werde. Doch Lautmann ist nicht Kassandra und Lesben & Schwule keine verschlagenen
Hellenen, auch wenn ihre Liebe einmal die griechische hieß. Eine Warnung
vor trojanischen Pferden. Von Georg Klauda.
Der Spagat, den die akademischen Speerspitzen der Szene zwischen Feminismus
hier und Bürgerrechtspolitik da betreiben müssen, um den für
sie unabdingbaren Konsens in der 'community' zu wahren, treibt allerlei rhetorische
Blüten, wie Lautmanns Wort von der Homo-Ehe als "trojanischem Pferd"
beweist. Das liegt daran, dass die 'Intellektuellen' mit den theoretischen
Ansätzen des Feminismus eigentlich genügend vertraut sein müssten,
um den unversöhnlichen Widerspruch zwischen der feministischen Auffassung
der Ehe als Instrument der Unterdrückung und den bürgerrechtlichen
Forderungen nach Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule zu erkennen.
Sekundärpatriarchalismus und Zwangsheterosexualität
Die Perfidie der Ehe lässt sich am historischen Prozess aufzeigen, in
dem sie sich als allgemeines Strukturmoment der bürgerlichen Gesellschaft
etablierte. Diesen Prozess hat u.a. die renommierte marxistische Feministin
Ursula Beer beschrieben. So war die vorbürgerliche, vorindustrielle Welt
von zahlreichen Eheverboten geprägt. Die Möglichkeit zu heiraten
war an den Besitz eines Ensembles von Produktionsmitteln gebunden, die eine
selbständige Existenz ermöglichten. Im Rahmen der Durchsetzung kapitalistischer
Verhältnisse verwandelte sich die bäuerlich-feudale Welt schließlich
in eine, in der die Ehe kein Privileg von besitzenden Minderheiten mehr war,
sondern zur Norm für die Mehrheit der Bevölkerung wurde. Die Universalisierung
der Ehe schuf die durchgehende Unterscheidung zwischen einem unbezahlten "reproduktiven"
Hausarbeitsbereich auf der einen Seite und der industriellen Lohnarbeit auf
der anderen. Durch zahlreiche Schließungstendenzen in der beruflichen
Arbeitswelt wurden Frauen in den ersten abgedrängt oder auf niedrigqualifizierte
Tätigkeiten reduziert. Die Folgen waren weibliche Armut, Abhängigkeit
vom männlichen "Ernährer", Ausschluss von den bürgerlichen
Bildungsinstitutionen und die "Hausfrauisierung" der weiblichen
Existenz.
Über diesen von Beer und anderen dargestellten Zusammenhang hinaus ist
dieser Prozess aber auch mit der Durchsetzung einer zwangsheterosexuellen
Ordnung verbunden. Homosexualität wurde aus den Fugen und Lücken
der vorindustriellen Gesellschaft, wo sie als anerkannte Sozialform der romantischen
Freundschaft mit keinerlei Verfolgung oder Belästigung rechnen musste,
in das Ghetto einer kriminalisierten Subkultur von "selbstbekennenden"
Homosexuellen verdrängt.
Bürgerrechtler auf dem Weg in die Nation
Warum aber ist die Ehe das primäre Objekt der Begierde für die bürgerlichen
Homophilenverbände geworden? Warum wird die Öffnung der Ehe für
Lesben und Schwule als "epochales Ereignis" abgefeiert, als sei
mit ihr die unmittelbare Einlösung aller je gehegten Utopien verbunden?
Die Antwort muss zunächst machtpolitisch ausfallen. Anfang der 90er Jahre
wurde die Homo-Ehe durch grün-konservative Schwulenpolitiker als Kristallisationspunkt
entworfen, um sich von den "fundamentalistischen Kräften" in
der Schwulenbewegung durch eine eigene "realpolitische" Forderung
abzusetzen. Dass diese an den Lebensrealitäten der schwulen und lesbischen
Szene vorbeisteuerte in Skandinavien nehmen nur etwa 0,5 Prozent der
Lesben und Schwulen die Möglichkeit der eingetragenen Partnerschaft wahr
, störte nicht weiter. Schließlich ging und geht es den Homo-Konservativen
um die "sittenbildende Kraft" der Ehe. Anders ausgedrückt:
Die Ehe soll auf Dauer die Lebensverhältnisse und Realitäten erst
herstellen, die sie zu repräsentieren vorgibt.
Worum es den Schwulen, die diese Forderung aufs Tapet brachten, eigentlich
geht, spricht der Wortführer der amerikanischen "gay civil rights
movement", Andrew Sullivan, offen aus: Es ist der Traum des schwulen
Staatsbürgers, endlich von den Großstadtghettos in die Einfamilienhäuser
der Vorstädte zu ziehen. "Praktisch normal", so heißt
denn auch ein Buch, mit dem Sullivan die Lesben- und Schwulenbewegung konzeptionell
aus der linken Ecke herausholen und in eine "Mainstream-Bewegung"
verwandeln möchte: "Ich denke, wir haben eine Menge getan, um die
Menschen zu überzeugen, dass wir keine gegenkulturelle Kraft sind."
(zit. nach Time, 26.10.98).
"Homo-Ehe und Post-Wohlfahrtsstaat"
Die gruselige Wiederkehr der Ehe als Forderung sexueller "Minderheiten",
damit war nach 69 eigentlich nicht mehr zu rechnen. Sie vollzieht sich
in einem neoliberalen Zusammenhang, der von der Lesben- und Schwulenbewegung
ausgeblendet wird. Schuld daran sind ihre identitätspolitischen Scheuklappen.
In ihrem Einleitungsreferat zum Kongress "Queering Demokratie",
der vergangenes Jahr in Berlin stattfand, stellte die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin
und Professorin für lesbisch-schwule Theorie Lisa Duggan die Forderung
nach der Homo-Ehe in den Kontext des "Post-Wohlfahrtsstaats". Die
These ist nicht neu. Bereits 1992 schrieb Teschaw Hörmann in einer Grundsatzkritik
an der Homo-Ehe (DornRosa 36): "Es ist bezeichnend, dass die Forderung
nach der Homo-Ehe jetzt und nicht vor drei Jahren von Medien und Politik ausgiebigst
erörtert wird. In Zeiten wirtschaftlicher Rezession versucht der Staat,
die Reproduktion verstärkt in die Privatsphäre zurückzuverlegen,
um trotz massivem Sozialabbau den sozialen Frieden zu erhalten." Doch
Lisa Duggan ging noch weiter. In ihrem Vortrag wies sie auf den Zusammenhang
des neuen homopolitischen Puritanismus, der in der Öffnung der Ehe für
Lesben und Schwule die ultimative Emanzipation erblickt, mit neoliberalen
Projekten wie etwa der "Innenstadtsäuberung" in New York hin.
Für Lesben und Schwule macht diese sich als Schließung von Clubs
bemerkbar unter dem Vorwand, die Drogenszene "trockenzulegen"; als
Umbau von Klappenanlagen, mit dem ihr "Missbrauch" als sexueller
Treffpunkt abgestellt werden soll; oder als Installierung von Überwachungskameras
in öffentlichen Parks ... vorgeblich eine Maßnahme zur Erhöhung
der städtischen Sicherheit, de facto ein Verbot von "public sex".
Diese Säuberungsaktionen stellen einen von vielen Knotenpunkten eines
weit verzweigten Projekts neoliberaler Gesellschaftstransformation dar: als
Versuche, die Grundstückswerte der innenstädtischen Zonen zu erhöhen,
sind diese Maßnahmen ebenso geeignet wie dazu, die aus dem Tauschwertzusammenhang
herausgefallenen autonomen Milieus anzugreifen oder die Lebenswelt des modernen
Menschen von der Straße wieder hinter die Mauern von Ehe und Familie
zu sperren. Andere Projekte dieser reaktionären Innenstadtpolitik sind,
wie auch in Berlin zu beobachten, die Belästigung von DrogenkonsumentInnen
durch private und öffentliche Ordnungskräfte, die Privatisierung
öffentlicher Plätze und die gewaltsame Räumung besetzer Häuser.
Das Erschreckende daran sei, so Duggan, dass die "Mainstream"-Lesben-
und Schwulenbewegung entweder durch völliges Schweigen glänzt oder
gar öffentlichen Applaus zollt. Während eine alternative Subkultur
attackiert wird, veranstalten die Politfunktionäre der Homo-Bewegung,
die sich in den USA in der Human Rights Campaign organisieren, zusammen mit
der Metropolitan Community Church einen "Marsch für Treue und Familie"
nach Washington D. C., um sich als erklärte Verteidiger von Monogamie
und "Familienwerten" den verdutzten Gesichtern der Konservativen
zu präsentieren.
Public Sex und öffentlicher Widerstand
Dieser Ignoranz der Homofunktionäre, aber auch der Traditionslinken und
Liberalen, die Sexualität gemäß Clintons Maxime "Dont
ask, don tell" zur Privatsache erklären und somit konsequent
an den Auseinandersetzungen um public sex vorbei agieren, stellen sich seit
Anfang der 90er aktionistische Gruppen wie ACT UP oder Sex Panic! entgegen.
Gerade in letzter Zeit zeichnen sich diese im Unterschied zur hierzulande
in aller Munde geführten, mittlerweile aufgelösten Gruppe "Queer
Nation" durch einen reflektierteren gesellschafts- und bündnispolitischen
Ansatz aus. Der Zusammenhang von Neoliberalismus, Innenstadtsäuberung,
Gesundheitspolitik und Sexualrepression wird hier mit einem kritischen Blick
auf die Forderung nach Einbeziehung in die heterosexuellen Institutionen verbunden.
Geblieben ist auch bei den neueren 'anti-assimilatorisch'; orientierten Gruppen
der provokative "sexuelle Aktionismus", der versucht deutlich zu
machen, dass Sexualität nichts Privates ist, sondern in ihren sozial
regulierten Formen den öffentlichen Raum beherrscht und sexuelle Nonkonformisten
von diesem ausschließt.
Die faschistische Rechte: Von der Politik zum Wahn
Neben diesen Auseinandersetzungen zwischen dem Trias der neoliberalen Rechten,
den integrationistischen Homofunktionären sowie den radikaleren Aktionsgruppenentzündet
sich in Europa an der parlamentarisch in unmittelbare Nähe gerückten
Möglichkeit einer "eingetragenen Partnerschaft" eine nationale
Bewegung, die in Frankreich bereits 100.000 Menschen auf die Straße
bringt. Die sich hier zu Wort meldende populistisch-faschistische Rechte ist
nicht in Klassenkategorien zu fassen, nicht als Putztruppe des Neoliberalismus
zu begreifen. Diese Bewegung überhaupt an rationalen Politikmodellen
zu messen, verkennt ihren wahnhaften Charakter. Wer die Pläne der Homokonservativen
zur Öffnung der Ehe als Angriff auf diese verbucht, der hat, salopp ausgedrückt,
schon nicht mehr alle Tassen im Schrank. Die Massenprojektion einer Verschwörung
von Lesben und Schwulen gegen die heiligen Institutionen der Gesellschaft
ist schon in ihrer Struktur so grotesk und phantastisch, dass die für
75.000 Mark gestartete "Aufklärungs"-Kampagne des LSVD, die
der versammelten Staatsbürgergemeinde versichert, dass man nicht nur
Rechte für sich einfordert, sondern die nationalen Pflichten gleich mit
dazu, garantiert ins Leere laufen wird. Die Revolte derjenigen, die durch
die wachsende organische Zusammensetzung des Kapitals überflüssig
gemacht werden und deren letztes Netzwerk nach Verschwinden der wohlfahrtsstaatlichen
Existenzgarantie unbrauchbar geworden ist: nämlich die Familie, wird
sich in ihrem Amoklauf gegen sexuelle "Minderheiten" kaum durch
Argumente beeindrucken lassen. Angesichts des Angstszenarios einer homosexuellen
Verschwörung gegen Ehe, Familie und Nation, das mittlerweile Massencharakter
anzunehmen droht, hilft nur eines: sich zur unterstellten Intention auch offen
zu bekennen. Radikal gegen Familie und Nation.
Literatur
Barry D. Adam: The Rise of a Gay and Lesbian Movement. Revised Edition. Simon
& Schuster Macmillan, New York 1995.
Ursula Beer: Geschlecht, Struktur, Geschichte. Soziale Konstituierung des
Geschlechterverhältnisses. 2. Aufl. Campus, Frankfurt/New York 1991.
Alan Bray: Homosexuality in Renaissance England. Gay Mens Press, London
1982.
Pat Califia: Public Sex. The Culture of Radical Sex. Cleis Press, Pittsburgh
1994.
Lisa Duggan; Nan D. Hunter: Sex wars. Sexual Dissent and Political Culture.
Routledge, New York 1995.
Ulrich Enderwitz: Antisemitismus und Volksstaat. Zur Pathologie kapitalistischer
Krisenbewältigung. 2. Aufl. Ça ira, Freiburg 1998.
Lilian Faderman: Surpassing the Love of Men. Romantic Friendship and Love
between Women from the Renaissance to the Present. The Womens Press,
London 1985.
Peter Kriedte: Spätfeudalismus und Handelskapital. Grundlinien der europäischen
Wirtschaftsgeschichte vom 16. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Vandenhoeck
und Ruprecht, Göttingen 1980.
Rüdiger Lautmann: Die Trojanischen Pferde der Homopolitik. In: Detlef
Grumbach (Hrsg.): Was heißt hier schwul? Verlag MännerschwarmSkript,
Hamburg 1997.
Thomas Sablowski: Der Vormarsch der Rechten (7.5.). In: Ders., Italien nach
dem Fordismus. Regulation und organische Krise einer kapitalistischen Gesellschaftsformation.
Westfälisches Dampfboot, Münster 1998.
StadtRat (Hrsg.): Umkämpfte Räume. Strategien in der Stadt. Libertäre
Assoziation, Hamburg 1998.