Freie
Radikale
In
letzter Zeit werde ich wieder häufiger mit einem Vorwurf konfrontiert,
der mir zwar in frühester Jugend relativ oft begegnete, dem ich jedoch
nicht allzuviel Bedeutung beimaß. Es waren durchweg Männer, die
mir nach meiner abschlägigen Antwort, das Bett mit ihnen zu teilen, verachtungsvoll
entgegenschleuderten: Du bist überhaupt keine richtige Frau! Ein Schicksal,
erlitten von Anne Köpfer
Nun, da meine Lagerstatt ausschließlich dem weiblichen Geschlecht vorbehalten
war und ist und ich auch keine Probleme damit habe, mich auf eben dieser durchaus
als Frau zu fühlen, traf es mich doch ziemlich überraschend, ausgerechnet
von einer Person unzweifelhaft femininer Herkunft mit diesem längst vergessen
geglaubten Urteil belegt zu werden. In etwas zwar abgeschwächter, mehr
fragender Form, aber der vorwurfsvolle Klang war nicht zu überhören.
'Wie soll ich Sie denn da vermitteln, wenn sie aber auch so gar keine fraulichen
Merkmale vorweisen können?' Merkmale ist das Lieblingswort meiner Beraterin
vom Arbeitsamt fünf. Zu Beginn unserer Bekanntschaft hatte ich das mißverstanden
und immer engere Pullover angezogen, aber sie meinte das anders. 'Mehr spezifisch,
wenn Sie wissen, was ich meine', sagte sie und schaute mir intensiv in die
Augen.
Ich wurde weich, und insgeheim mußte ich ihr recht geben. Sämtliche
Stellenvermittlungsversuche waren bisher gescheitert. Einmal erwartete man,
daß ich in affenartiger Geschwindigkeit Gurken, Eier und Aufschnittröllchen
in Plastebecher mit Aspik drapieren sollte. 'Ihnen als Frau ist das doch sozusagen
schon in die Wiege gelegt worden!' Offenbar war die Plastebecheraspikfee an
meiner Wiege hurtigen Schrittes vorbeigezogen. Meine Becher sahen jedenfalls
aus, als hätte das Huhn höchstpersönlich und in großer
Eile hineinge ... Man trennte sich im Guten von mir.
Die Sache mit dem Nähzirkel klappte ebenfalls nicht. Ich sollte die abgelegten
Sachen irgendwelcher Damen und Herren ausbessern 'Frauen haben ja schon
von Natur aus Geschick in solchen Dingen!' , um sie dann an Bedürftige
zu verkaufen. 'Und zur Belohnung dürfen Sie sich dann eigenhändig
ein kleines Blüschen schneidern und es behalten.' Ich kam nicht mehr
dazu, mir ein Blüschen zu schneidern. Man legte mir nach kurzer Zeit
nahe, mich anderswo zu bewerben. Aus Dankbarkeit für meine Einsicht verzichtete
man auf Regressansprüche für die ramponierte Nähmaschine.
Auch der vorläufig letzte Versuch, mich in die Kolonne hingebungsvoll
wischender und putzender Frühaufsteherinnen einzuschleusen, scheiterte
kläglich. 'Ich versteh' das wirklich nicht', meinte meine Arbeitsberaterin
kopfschüttelnd. 'Das Putzen liegt Frauen doch regelrecht im Blut.' Vielleicht
hatte ich die falsche Blutgruppe oder das frühe Aufstehen bekam mir nicht,
jedenfalls stolperte ich fortwährend über herum-stehende Eimer oder
rutschte auf dem blanken Parkett aus. Nach zwei Tagen landete ich wieder auf
dem Arbeitsamt.
Allmählich wurde die Situation prekär. Schließlich stand meine
Existenz auf dem Spiel. In meinem Beruf als Redakteurin fand ich keinen Job.
Zum Verhungern fehlte mir die rechte Lust. Außerdem hatte ich schon
wieder einen neuen Termin bei meiner Arbeitsvermittlerin. Es schien
mir nichts weiter übrig zu bleiben, als eine richtige Frau zu werden.
***
Zu
allem entschlossen, wissend, um etliche Investitionen nicht umhin zu kommen,
räume ich in der naheliegenden Kaufhalle das Regal 'Frauenzeitschriften'
rigoros ab. Es sind genau 21 Stück. Ich blättere einen Fünfziger
hin eigentlich wollte ich davon meine Wochenendeinkäufe bestreiten
und begebe mich voller Zuversicht in mein trautes Heim, um dort in
aller Ruhe und Abgeschiedenheit dem Geheimnis Frau auf die Spur zu kommen.
Ich lege die Zeitschriften kreisförmig auf den Fußboden, stelle
eine Flasche Wermut und den Aschenbecher in die Mitte und setze mich davor.
Natürlich klingelt es gerade in diesem Moment an der Wohnungstür.
Das ist typisch. Tagelang läßt sich kein Schwein sehen, aber justamement
zu dem Zeitpunkt, wo ich eine für mein weiteres Leben so gravierende
Entscheidung zu treffen im Begriff bin, kommt Besuch. Meine langjährige
Freundin Karoline steht strahlend vor der Tür.
"Komm' rein, aber hör' auf zu grinsen", fahre ich sie an, "dazu
besteht nicht der geringste Anlaß. Ich habe schwere Sorgen. Ich muß
eine richtige Frau werden."
"Sofort?"
fragt sie verblüfft.
"Spätestens
bis Montag, 10 Uhr", sage ich.
Ich
erkläre ihr die Angelegenheit. Zwar bin ich mir nicht sicher, ob sie
mich nicht doch für verrückt hält, aber sie verspricht, mir
nach bestem Wissen und Gewissen behilflich zu sein.
"Gut.
Hier sind 21 Zeitschriften, die speziell für Frauen konzipiert wurden.
Am besten, du suchst das Wichtigste raus und fragst mich ab."
Karoline
nickt und beginnt eifrig zu blättern. "Darf eine Prinzessin ohne
Strümpfe gehen?" fragt sie mit erhobener Stimme.
"Von
mir aus", winke ich großzügig ab.
"Falsch!
Sie darf nicht!"
"Ach
was", wundere ich mich, "aber eigentlich ist mir das auch ziemlich
schnuppe."
"Das
ist eben dein Fehler. Als richtige Frau mußt du zumindest in den Gepflogenheiten
bei Hofe sattelfest sein. Was treibt beispielsweise Kronprinz Paul von Griechenland
in sehnsuchtsvollen Nächten?"
"Woher
soll ich denn das wissen? Vielleicht fegt er den Palast oder putzt das Tafelsilber."
"Unsinn!
Er schreibt lange Liebesbriefe an seine Verlobte!"
"Hat
er kein Telefon oder zumindest ein Faxgerät?"
"Der
Prinz ist ein hoffnungsloser Romantiker! * Am späten Nachmittag des Heiligen
Abends fuhr die letzte Drahtseilbahn vom Berg hinab nach Gstaad. In der Kabine
befanden sich nur Prinz Paul und Marie. Plötzlich warf sich Paul ihr
zu Füßen ..."
"Hat
er sich was gebrochen?" frage ich interessiert.
"Nein,
er hat sich nichts gebrochen, sondern ihr einen Heiratsantrag gemacht. Willst
du wissen, wie es weitergeht?"
"Bitte,
nein", flehe ich. "Es gibt sicher noch andere Dinge, die man unbedingt
wissen muß, um als Frau anerkannt zu werden."
"Gewiß.
Was meinst du, worauf wollen Frauen auf keinen Fall verzichten?"
"Wer
will denn das herausgefunden haben", frage ich mißtrauisch.
"Die
Zeitschrift hat 1372 Frauen befragt. Und somit ist diese Umfrage repräsentativ."
"Also
gut", sage ich, "Frauen wollen vermutlich nicht dar-auf verzichten,
Geld zu verdienen."
"Du
bist ein hoffnungsloser Fall. Denk' doch mal praktisch. Welchen Gegenstand
möchtest du in deiner Wohnung nicht missen?"
"Den
Kühlschrank! Warmer Wermut schmeckt wirklich gräßlich ..."
"Menschenskind,
versetz' dich doch mal in die weibliche Psyche. 78 Prozent aller Frauen wollen
auf das Dampf-bügeleisen nicht verzichten!"
"Heiliger
Strohsack", sage ich. "Und was folgt an zweiter Stelle?"
"Die
Seidenstrumpfhose, dicht gefolgt von der Dauerwelle und Kontaktlinsen."
"Ich
geb' auf. Das werd' ich nie kapieren."
"Du
willst doch nicht schon jetzt das Handtuch werfen. Gib dir mal ein bißchen
Mühe."
Ich gehe in die Küche und hole eine neue Flasche Wermut. So anstrengend
hatte ich mir das Frauwerden nun doch nicht vorgestellt.
"Sauf
nicht so viel", sagt Karoline und gießt sich einen kräftigen
Schluck nach. "Das ist unweiblich. Das zarte Geschlecht hat andere Ambitionen.
Ich werde dir nun einige Tips aus der Domäne der liebenden und treusorgenden
Haus- und Ehefrau kundtun. Am besten wird es sein, du lernst das auswendig.
Bei passender Gelegenheit kannst du dann mit deinem Wissen glänzen."
Ergeben
nicke ich und schließe die Augen, um mich besser konzentrieren zu können.
"Linsengerichte
bekommen eine besondere Note, wenn sie mit einer Trockenpflaume zubereitet
werden."
Was
meinen die mit Trockenpflaume, denke ich. Dann rufe ich mich zur Ordnung.
Keine frivolen Gedanken in dieser ernsten Stunde.
"Ein
unverzichtbares Accessoire für die frauliche Hand-tasche ist ein Klappspiegel.
Für 93 Mark erhalten Sie ihn ..."
Was
ist eine frauliche Handtasche? Und, um Himmelswillen, wozu benötigt man
darin einen 93 Mark teuren Klappspiegel?
"Nach
intensiver Benutzung der Toilette zünde man ein Streichholz an und lasse
es nur kurz brennen. Was bleibt, ist ein leichter Schwefelgeruch, aber alle
anderen unangenehmen Gerüche verschwinden."
Das
ist echt stark. Ich bewundere die Offenheit, mit der diese Frauenzeitschrift
auch derart diffizile Probleme anpackt.
"Wenn
die Zimmerpflanzen nicht so richtig gedeihen wollen: Frische Eierschalen von
freilaufenden Hühnern zerdrücken und damit gießen."
Jetzt
muß mir nur noch jemand verraten, wo ich mitten in der Großstadt
freilaufende Hühner auftreibe! Dann müßte ich sie auch noch
fangen und zum sofortigen Eierlegen überreden; schließlich sollen
die Schalen frisch sein. * Das ist vielleicht ein Scheißspiel. Ich möchte
wissen, was die in der Redaktion sich dabei denken. Vielleicht laufen dort
die Hühner frei übern Ticker ...
Karoline
ist nicht zu bremsen. "Nüsse schützen vor Freien Radikalen!"
stößt sie triumphierend hervor.
Ich
schrecke hoch.
"Nüsse,
Sonnenblumenkerne und Kastanien sind die wirksamsten Mittel gegen diese aggressiven
Freien Radikalen."
Radikale?
Noch dazu in Freiheit? Terroristen, Bombenleger, Autonome, Hausbesetzer, zu
allem Entschlossene, diesen demokratischen Rechtsstaat zu unterwandern. Ich
korrigiere mein vorschnelles Urteil über die Redaktion. Was der Polizei
bislang nur unzulänglich gelang, diese mutige Zeitschrift gibt den Frauen
endlich Mittel in ihre prilgespülten Hände, wie diesen Verbrechern
zu begegnen ist. Im Geiste sehe ich entschlossene Hausfrauen, die Kiepe mit
- wahr-scheinlich - Kokosnüssen auf dem Rücken, jederzeit bereit,
diese gegen die Radikalen, ob nun von links oder von rechts, einzusetzen.
Sie werfen die Nüsse auf die so Gehaßten. Die etwas zarter Besaiteten
nehmen die Sonnenblumenkerne als Wurfgeschosse.
In
meiner Begeisterung kippe ich beinahe den restlichen Wermut um.
Mit
den Worten "Du trinkst besser nichts mehr" räumt Karoline mein
Glas beiseite.
"Warum
denn nicht", frage ich bestürzt. "Wo ich mich doch so freue,
daß endlich auch mal ein politisches Thema ..."
"Was
für ein politisches Thema? In all diesen 21 Zeit-schriften ist kein einziges
Wort über Politik geschrieben! Die deutsche Frau ist unpolitisch, verstehst
du! Die bringt ihr Hüfthalter um, aber keine Mieterhöhung."
"Aber
die Freien Radikalen ...", stottere ich hilflos.
(1995)
"Freie Radikale" sind Gift- und Schadstoffe, die Zellen zerstören,
wenn Vitamine und Mineralstoffe fehlen.