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Post coitum animal triste

Genauso wie zum Zwecke der Profitmaximierung der Warencharakter von Gesundheit, sozialer Sicherheit oder Bildung unter Schwarz-Rot-Grün immer ungehemmter optimiert wird, kommt konsequenterweise auch beim Ausleben sexueller Bedürfnisse zunehmend die Frage auf, was das denn kosten dürfe. Abweichend von diesen mehrheitlich gewollten, auf Ausbeutung fixierten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen hat sich „Ajpnia“ (1) als Bumsschuppen für Arme in Berlin-Schöneberg der nicht-kommerziellen Bedürfnisbefriedigung verschrieben: Vor fünf Jahren am 14. Mai wurde der inzwischen eingetragene Verein gegründet. Einen Geburtstagsgruß entbietet ihm Ortwin Passon

"Ficken für die Miete“ – Gregor Hilland alias Suleika Bergmann-Pohl zitierend, betitelte der
im Fahrwasser einer rechtsdriftenden Homoszene journalistisch zunächst nach oben gespülte Micha Schulze seinen Beitrag zum zwanzigjährigen Bestehen der Allgemeinen Homosexuellen Arbeitsgemeinschaft (aha): „Der einst bürgerliche Homoclub gehört heute zum linken Rand der Schwulenszene“ und halte sich – neben einer Spiele- und Jugendgruppe durchaus avantgardistisch – auch das Fickfetenteam „Bodies in Emotion“: Denn „weil Mitgliedsbeiträge und Spenden für die Miete nicht reichen“, werde „allmonatlich zur Sexparty“ geladen. Zwanzig Jahre zuvor „schossen in Westberlin nicht wenige Projekte aus dem Boden, doch“ der „Homoverein“ in Berlin-Kreuzberg „nahm ausnahmsweise nicht den üblichen 'Joschka-Fischer-Weg’ vom linksradikalen Basisgrüppchen zum staatstreuen, gemeinnützigen e.V., sondern schlug genau den entgegengesetzten Kurs ein: Gegründet als lokaler Nachfolger der bürgerlichen 'Internationalen Homophilen Weltorganisation’ sowie als Abgrenzung zur linken 'Homosexuellen Aktion Westberlin’“ (HAW), dem anfänglichen Trägerverein eines ursprünglich noch mainstreamuntauglichen Schwulen-Zentrums (SchwuZ), zähle diese Institution um Suleika Bergmann-Pohl, „Politoffizierin“ Käte Infektiös und „das aufstrebende Showtalent“ Niagara Phall „zum kläglichen links-alternativen Rand der hiesigen Schwulenszene.“(2)
Mit Schulzes Einschätzungen vom März 1994 verhält es sich im Mai 2005 gänzlich umgekehrt: Ein ebenfalls in der aha entdeckter Olivia-Jones-Verschnitt namens Alexander Schatzlmaier „professionalisierte“ sich als Biggy van Blond neben Adessa Zabel als tuntige „Kleinkünstlerin“ und dilettiert als „Kolumnistin“ im rechten Szenekalender sergej, während die aha parallel zur Verstaatlichung der zweiten deutschen Schwulenbewegung in emanzipatorischer Bedeutungslosigkeit vor sich hindümpelt.

„Schon mittwochs abends begann der arbeits- und zeitintensive Aufbau“ für die einmal monatlich freitags stattfindende aha-Erotikparty, erinnert sich Marcus Hohn, in der Szene als „Marsha“ bekannt, an die von ihm vor etwa zwölf Jahren initiierten Kopulationsevents: „Sexparties außerhalb (der aha – d. Verf.) waren nicht sehr familiär oder zu unbequem.“ Als aber das Team um ihn herum auch „Positiven-Feten“ von HIV-Infizierten und für sie am jeweils sich anschließenden Sonnabend plante, gab’s Verspannungen: Obwohl diese Veranstaltungen etwa 70 Prozent der monatlichen aha-Einnahmen ausmachten, war die sich an jedem Wochenende treffende Pubertantengruppe nicht bereit, einmal im Monat auf die Räumlichkeiten zu verzichten, „und auf den Plena haben Mitglieder über Anschaffungen (von Dekoration – d. Verf.) mitbestimmt, die von Sexparties keine Ahnung hatten oder sowas sogar ablehnten.“

Und was ist mit Ficken?

Konsequenz dieses antiemanzipatorischen Traumas: „Am 14.5.2000 haben vierzehn Schwule, die auch bei anderen Projekten und Parties (SchwuZ, aha, Die Schwestern der Perpetuellen Indulgenz, u.a.) aktiv mitarbeiten, den Verein Ajpnia gegründet.“ Für etymologisch Interessierte: Ajpnia ist griechisch und bedeutet „Schlaflosigkeit“. Seit Anfang August 2000 ist der Club ein eingetragener Verein, anschließend wurden „geeignete Räume gesucht und nach unseren gemeinsamen Vorstellungen und Plänen ausgebaut.“ Die ehrenamtlich betriebene Einrichtung erhält keinerlei Staatsknete. „Unsere Zielsetzung ist die Organisation und Durchführung eigenständiger Veranstaltungsreihen in unseren Vereinsräumen, mit denen wir unseren Beitrag zur Propagierung von Safer Sex leisten und umsetzen, ohne dabei auf Spaß und gemeinsame Aktivitäten zu verzichten“, verrät die Homepage. Und das in einer Bundeshauptstadt, die zumindest in Provinz und Ausland damit kokettiert, die „schwule Sexhauptstadt“ (3) Deutschlands zu sein.

Christian Guzman, Pierre Nehr und Kai Treff bilden den Vorstand dieser ungewöhnlichen Einrichtung zur kostengünstigen (4) Triebbefriedigung (5), die unbeabsichtigt wie keine andere für ein positives Bild des Berliner Nachtlebens sorgt: Auf Gemeinnützigkeit, die mit „viel mehr Auflagen und staatlicher Kontrolle“ einherginge, wird absichtlich verzichtet. Trotz fehlender Profitorientierung verrät Geschäftsführer Marsha: „Wir haben’s geschafft, innerhalb von zwei Jahren schwarze Zahlen zu schreiben; seit Januar 2004 sind wir komplett schuldenfrei.“ Eine bemerkenswerte Alternative zu vielen anderen Szeneeinrichtungen, die sich bereitwillig an den öffentlichen Tropf hängten und ihre inhaltliche Unabhängigkeit verkauften.

Häufig wechselnder Geschlechtsverkehr

Dennoch gibt es Spielregeln in der Eisenacher Straße: Termine der zielgruppenorientierten „Themenabende“ werden rechtzeitig vorher im Internet veröffentlicht und näher erläutert. „Nachtverkehr posithiv“ beispielsweise ist als schwule Safer-Sex-Party von und für HIV-Positive und deren ebenfalls oder noch nicht infizierte Freunde konzipiert: Das „ist keine Bareback-Party. Und es ist auch keine geschlossene Party“ – ein wegen der für Barebacker und ihre möglichen Sympathisanten hierzulande unter Umständen bedrohlichen Rechtsprechung (6) zweckmäßig erscheinender Hinweis. Idee hierbei ist eine „Nacht – frei von Erklärungsnot – ..., bei der man ... auch offen und ungezwungen seine Pillen einnehmen kann (‚Schei..., ich habe meine Combivir® vergessen! Hat zufällig jemand welche dabei?’)“, erklärt die Ankündigung. Andere Partythemen sind „Kreisverkehr“ nicht nur für, aber durchaus mit Frauen. Oder „Feierabendverkehr“ für den vorrangigen Druckausgleich innerhalb der aussterbenden Spezies von Berufstätigen ohne ausreichende Nachtfreizeit.

Die Rahmenbedingungen sind stets gleich: „In entspannter Atmosphäre gibt es einen Cafébereich zum Reden und Kennenlernen sowie viel Platz für Zwei- und Mehrsamkeit auf zwei Etagen. Das Personal ist nicht nur dazu da, Kondome und Gleitgel nachzufüllen, sondern kümmert sich auch ansonsten mit vollem (Körper-) Einsatz um das Wohlbefinden der Gäste. Du kommst herein, zahlst den Eintrittspreis und ziehst mindestens deine Schuhe aus, denn es liegt überall frisch gesaugter Teppichboden, ansonsten kannst Du an-/ausziehen, was Du möchtest. Die meisten Gäste tragen hübsche Unterwäsche, denn es ist bei uns angenehm kuschelig warm. Einen ‘Dresscode’ gibt es bei uns nicht. Dann bekommst Du deine Nummer auf z. B. den Arm geschrieben und Deine Kleidung kommt in entsprechend numerierte Boxen. Die Garderobe ist bewacht, Du kannst also Geld, Wertsachen, Mobiltelefon (ausgeschaltet!) etc. dort lassen und mußt es nicht mit Dir herumtragen. Mit der Nummer kannst Du dann im Cafébereich Getränke bestellen, die auf einem Getränkezettel aufgeschrieben werden. Neben dem Cafébereich haben wir im Erdgeschoß noch den ‘roten Salon’ mit Video und Rückzugsmöglichkeiten und im Untergeschoß einen größeren Bereich mit unterschiedlichen Helligkeitsbereichen und Rückzugsmöglichkeiten. Kondome und Gleitgel liegen an mehreren Stellen aus, und falls Du bestimmte Marken bevorzugst, bring Dir etwas mit. Wenn Du dann irgendwann gehst, holst Du Deinen Getränkezettel am Cafétresen und zahlst beim Gehen an der Garderobe. Wir würden uns freuen, Dich als Gast in unserer Mitte begrüßen zu dürfen“, säuselt die virtuelle Partyleitung.

„Verkehrsregeln“ – nicht gegen Barebacker?

Allgemeingültig sind auch die „Verkehrsregeln“; eine Art hauseigenes Antidiskriminierungsgesetz, das wegen der zahlreichen Sextouristen von außerhalb sowohl in deutscher – siehe Foto – als auch in englischer Sprache aushängt: „Das ist besser als die ‘Selbstverpflichtung’ der ‘Schwulen Wirte’, welche die Deutsche AIDS-Hilfe neuerdings bundesweit einzufordern versucht“, meint Marsha: „Ich sehe nicht ein, daß wir hier die Arbeit von Präventionseinrichtungen machen sollen. Wir sind weder beim Wirte-Treffen noch beim LSVD oder Mann-O-Meter drin, ermöglichen aber ‘manCheck’“, einem Projekt der Schwulenberatung Berlin, „einmal monatlich Präventionsarbeit. Ansonsten haben wir nichts mit denen zu tun“, grenzt der Geschäftsführer sich von staatsfinanzierten Projekten der homosexuellen Subkultur ab. (7)

Wer in diesem Verhaltenscodex eine Diskriminierung von Barebackern erkennt, möge den Schalk im Nacken der Sexagenten wahrnehmen: „Barebacking spielt (bei Ajpnia – d. Verf.) genauso ‘ne Rolle wie in jedem anderen Laden, in dem gefickt wird“, schmunzelt Marsha und erklärt die offizielle Lesart so: „Es besteht das Gerücht, daß bei Ajpnia viele hingehen und ohne Gummi miteinander rumficken. Das ist Blödsinn. Tatsächlich ist Positivsein für uns kein Problem. Wir haben auch Gäste, die sagen ‘Wir sind negativ und wollen negativ bleiben und vögeln nur mit Gummi’.“ – Und das ist keine Diskriminierung von Barebackern, obwohl der hausinterne „Knigge“ entsprechend unmißverständlich formuliert ist? „Nein“, sagt Marsha, „weil wir niemandem vorschreiben, wie er was zu machen hat. Solange beide dasselbe wollen, können sie machen, was sie wollen. Wir grenzen niemanden aus.“ Tatsächlich findet man im Ajpnia keine Aufkleber mit dem Aufdruck „Barebacking unerwünscht“ wie in kommerziellen Homo-Kontaktbars. Übrigens: Die nächste „Safer-Sex-Party“ für HIV-Positive, die „keine Barebackparty“ sein soll, findet voraussichtlich am 7. und am 21. Mai ab 21 Uhr im Ajpnia statt.

Anmerkungen/Quellen

1) Ajpnia e.V., Eisenacher Straße 23/Ecke Hohenstaufenstraße, 10781 Berlin. Termine unter www.ajpnia.de.
2) Micha Schulze: „Ficken für die Miete“, die tageszeitung (taz), Berlin, Nr. 4261, Seite 24, vom 11.03.1994
3) Sex sells: „Nirgendwo sonst gibt es über 30 Darkrooms, unzählige Cruisingkinos, ein halbes Dutzend Saunas sowie diverse rund ums Jahr bevölkerte Cruisinggebiete. Vor allem aber kennzeichnet Berlin die Fülle an verschiedensten Sexpartys. Doch leider“, lamentiert der vom schwul-lesbischen Terminkalender Siegessäule in Kollaboration mit der „Berliner Tourist Information“ vertriebene Homo-Guide Out in Berlin, „bringt es die sehr hedonistisch geprägte, größte deutsche schwule Szene des Landes so auch zu einem Negativrekord: Berlin ist auch führend in Sachen HIV und Aids“ (Out in Berlin, S. 36), weshalb der Regierende „Partymeister“ Klaus Wowereit (SPD) Sextouristen als „persönlichen Geheimtipp“ lieber einen Besuch im Schwulen Museum empfiehlt (vgl. Out in Berlin, S. 4). Mit den alternativen Ajpnia-Parties schmückt sich das kommerzielle Berlin dennoch ganz gern (vgl. Out in Berlin, S. 36).
4) Frührentnertaugliche Mitgliedsbeiträge liegen – je nach individueller Möglichkeit – bei 3 bis 6 Euro monatlich.
5) Homosexuellenfreundliche Öffnungszeiten und Hartz-IV-kompatible Preise begünstigen das zwanglose Kennenlernen einschließlich offiziell safen, häufig wechselnden Geschlechtsverkehrs zwischen mehr oder weniger unbekannten Herren (und an speziellen Abenden auch Damen). Einlaß ist 21-6 Uhr, Eintritt 6 Euro bzw. in der „Blauen Stunde“ (21-22 Uhr und 5-6 Uhr) 5 Euro. Das Partyende ist nach Einlaßschluß offen und von der Stimmung abhängig.
6) vgl. Beitrag „Justitia kann kiffen, ohne zu inhalieren“ in diesem Heft.
7) Von 2000 bis 2002 hatte Ajpnia dreimal am Kommerz-CSD mitgemacht, seither nicht mehr: „durch Gebühren zu teuer, nicht refinanzierbar. Wir wollen von Sponsoren unabhängig bleiben, uns nicht inhaltlich reinreden lassen. Aber wenn uns jemand ‘nen 1000-Euro-Scheck in die Spendendose steckt: gern“, stellt Marsha klar.