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Der neue Otto-Katalog ist da!


Das von Bundesinnenminister Otto Schily geschnürte "Antiterror-Paket" steht für rassistische Festungspolitik nach außen und innen. Eine Auflistung dessen, was einen modernen Polizeistaat ausmacht, von Ulla Jelpke


Seit den terroristischen Anschlägen von New York und Washington am 11. September überschlagen sich die Innenminister von Bund und Ländern, von SPD und CDU/CSU mit immer neuen "Sicherheitspaketen". Allen voran Bundesinnenminister Schily (SPD), der wild entschlossen ist, dem bayerischen Innenminister und CSU-Rechtsaußen Beckstein den ersten Platz als schwarzer Sheriff, als härtester Verfechter von Law & Order streitig zu machen. Immer offenkundiger wird: Schily, Beckstein & Co. und auch die Grünen instrumentalisieren die Sorgen der Menschen, um eine andere Republik, einen rassistischen Überwachungsstaat durchzusetzen.

Selbstverständlich müssen Terroristen verfolgt, vor Gericht gebracht und verurteilt werden. Aber davon redet heute niemand mehr. Noch nicht einmal die Dokumente, die angeblich die Verantwortung Bin Ladens für die Terroranschläge in den USA beweisen sollen, sind der Öffentlichkeit bekannt, geschweige denn einem Gericht vorgelegt worden.

Von Ursachenbekämpfung gegen Terror, Gewalt und Krieg ist keine Rede. Das würde erfordern, für eine gerechte, solidarische Welt einzutreten. Statt dessen rüstet der Westen auf und führt Krieg. Kriegspolitik nach außen, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nach innen – das ist die herrschende Politik. Sicherheit wird dadurch allenfalls vorgegaukelt. Die offene Gesellschaft wird durch eine Festung ersetzt. Konservative Normen gegen "Abweichler" sollen durchgesetzt, Pluralität und Multikulturalität abgebaut, Flüchtlinge und MigrantInnen noch schärfer verfolgt und ein "Kampf der Kulturen" gegen islamische Menschen angezettelt werden. Der Notstand wird zum Normalfall. Durch die Rasterfahndung werden Millionen Unschuldige überprüft. Wenn nur ein Prozent davon als "verdächtig" eingestuft wird, bekommen bald zehntausende vor allem islamische Menschen Polizeibesuch – zu Hause oder an ihrem Arbeits- oder Studienplatz.

Ende Oktober haben sich Grüne und Schily auf das sogenannte "Anti-Terror-Paket II" geeinigt. Die Grünen tun so, als hätten sie Schily wichtige Kompromisse abgerungen. Tatsächlich aber hat Schily nur die Punkte zurückgenommen, gegen die schon vorher Bürgerrechtsorganisationen, Datenschützer und Fachverbände Sturm gelaufen waren und die vermutlich auch vor dem Verfassungsgericht gescheitert wären. Die geplante Fahndung und Datensammelei des Bundeskriminalamtes ohne jeden Verdacht – also gegen Unschuldige – sowie die geplante Verpflichtung für Flüchtlinge und MigrantInnen, ihre Religionszugehörigkeit anzugeben – ein Verstoß gegen die Religionsfreiheit – sind damit vom Tisch. Aber die Stoßrichtung des Pakets – mehr Repression und totale Überwachung von Flüchtlingen und MigrantInnen – ist geblieben.

Deutsche Polizei in Moscheen

Schon jetzt eingebracht in den Bundestag ist ein Gesetz zur Abschaffung des "Religionsprivilegs" im Vereinsrecht. Das soll sich angeblich gegen islamische Extremisten wie den Kölner Verein der Anhänger des Islamisten Kaplan richten, die einen Kalifat-Staat errichten wollen. Dabei ist Schilys Gesetz dafür gar nicht nötig. Schon 1971 hatte das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, daß auch religiöse Vereine, die gravierend gegen Verfassung und Strafgesetze verstoßen, verboten werden können – trotz "Religionsprivileg". Das Religionsprivileg ist faktisch nur eine Schranke gegen einen allzu rigorosen Umgang der Innenminister mit der Religionsfreiheit. Gegen die Vorbereitung, Billigung oder Durchführung von Straftaten gibt es ohnehin kein "Religionsprivileg", hier reicht das Strafrecht völlig aus. Schily und Beckstein aber wollen künftig auch religiöse Vereine verbieten, wenn diese sich gegen "außenpolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland" richten. Die Polizei wird dann in Moscheen einrücken, um das Verbot durchzusetzen. Toleranz und Dialog zwischen Kulturen werden durch diese Politik dauerhaft beschädigt, Extremisten auf allen Seiten – christliche wie islamische – vermutlich nicht geschwächt, sondern eher noch gestärkt.

Neue Schnüffelei und Verfolgung mit § 129b StGB

Ebenfalls schon im Bundestag liegt ein Gesetz für einen neuen § 129b im Strafgesetzbuch. Damit sollen Menschen verfolgt werden, deren einzige "Straftat" darin besteht, daß sie hier (z.B. in der Presse, durch Flugblätter) Organisationen unterstützen, die in einem anderen Land zu Gewalt aufrufen. Ob diese Gewalt legitim ist – wie beispielsweise in der Vergangenheit bei uns gegen das Nazi-Regime – spielt keine Rolle. Würden Mandela und der ANC heute nicht in Südafrika regieren, dann würden sie mit diesem neuen Gesetz hier verfolgt und eingesperrt.

Das "Anti-Terror-Paket II"

Noch härter ist Schilys "Anti-Terror-Paket II", das nun Anfang November im Kabinett beschlossen werden und bis Jahresende in Kraft treten soll. "Biometrische Daten" (zum Beispiel DNA-Daten, Gesichtsvermessungen) und Fingerabdrücke sollen dann in Paß und Personalausweis gespeichert werden. Näheres soll ein Gesetz regeln. Diese Änderung wird erst wirksam, wenn die jetzigen Pässe und Personalausweise abgelaufen sind – also in fünf oder zehn Jahren –, gilt aber trotzdem als "Terror-Bekämpfung". Das Bundeskriminalamt soll noch umfassendere Kompetenzen erhalten und wird damit mehr denn ja zur Bundespolizei ausgebaut. Die Länderhoheit in Polizeifragen wird so abermals reduziert. In Flugzeugen sollen "Sky-Marshalls" für Sicherheit sorgen, statt die Cockpits durch Umbau zu sichern. Sky-Marshalls kollidieren mit der Oberhoheit des Flugkapitäns im Flugzeug und sind auch völkerrechtlich problematisch. Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll künftig auch Menschen und Vereine bespitzeln dürfen, die "sich gegen politische Gegner im Ausland richten und denen Gewaltanwendung in Deutschland ... nicht ... nachzuweisen ist". Das trifft auch Leute, die hier lediglich Menschenrechtsverletzungen in ihrer Heimat kritisieren. Außerdem soll der VS jederzeit Auskünfte von Banken und Post über Konten, Geldbewegungen und Postverkehr von "Verdächtigen" anfordern und diese Daten mindestens zehn Jahre speichern dürfen. Bei Flüchtlingen sollen "Sprachanalysen" eingeführt werden. Schily sagt auch hier ganz offen, daß diese Regelung nicht der Terrorbekämpfung dient. Sie soll vielmehr helfen, um zum Beispiel kurdische Flüchtlinge aus dem Nordirak abzuschieben.

Die Geheimdienste sollen künftig Millionen Daten von Flüchtlingen und MigrantInnen beim Ausländerzentralregister und jene von 16.000 Ausländervereinen beim Bundesverwaltungsgericht jederzeit abrufen können. Alle Flüchtlinge und MigrantInnen sollen obligatorisch nach ihrer Religionszugehörigkeit gefragt werden. Da das eigentlich gegen die Religionsfreiheit verstößt, sollen sie angeblich nicht verpflichtet sein, zu antworten. Im Grunde ist das ein Trick. Denn wer nicht antwortet, macht sich verdächtig. Millionen Beschäftige in der pharmazeutischen Industrie, bei Krankenhäusern, Banken, Post, Rundfunk und Fernsehen sollen künftig vom Geheimdienst "sicherheitsüberprüft " werden, bei Flüchtlingen ab 14 Jahren alle Fingerabdrücke und Lichtbilder genommen und für mindestens zehn Jahre gespeichert werden. Wer als Flüchtling einen falschen Namen angibt, wird sofort abgeschoben. Er dokumentiere damit, so Schily, "daß er nicht bereit ist, sich an unsere Rechtsordnung zu halten." Der Emigrant Willy Brandt, mit bürgerlichem Namen Herbert Frahm, wäre nach dieser Logik zur Nazi-Zeit aus Norwegen abgeschoben worden.

Es gibt ersten Widerstand gegen diese Pläne – von Flüchtlingen, Menschenrechtsorganisationen, Studierenden und anderen. Hannah Arendt sagte richtig: "Der Sinn von Politik ist Freiheit". Diese Freiheit muß verteidigt werden.

Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion