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Kein Paradies für Irmgard

"Ich bin nicht die Hilde, für die man mich hält“, sang Ulrich Michael Heissig alias Irmgard Knef zur Jahrtausendwende und leitete damit die Ära der vergessenen Schwestern berühmter Künstlerinnen ein. Freilich hielt kein vernünftiger Mensch diese Irmgard für die eineiige Zwillingsschwester der berühmten Knef – außer der Knef selbst, weswegen es eine unschöne Klage gab. Der „Weltstar in Deutschland“, wie Irmgard ihre große Schwester zärtlich-ironisch titulierte, war sichtlich unamüsiert über die Unterschichts-Verwandte aus Berlin-Kreuzberg, die der Welt im Namen aller gescheiterten Künstler mit ihrer nicht stattgefundenen Karriere den Spiegel vorhielt. Über die klassische Divenhuldigung eines Travestiekünstlers hinaus wurde Irmgard damit zum Sprachrohr für all jene, die im Schatten des Showbiz ihr Dasein fristen.

Zwischenzeitlich trat die echte Knef von der Bühne des Lebens ab, während Irmgard lebt – eine späte Genugtuung, immerhin. Hielt sie 2002 mit ihrem Programm „Schwesterseelenallein“ noch tapfer die Familienehre hoch, personifizierte sie unter der Regie von Thomas Engel im Jahr 2005 gar „Die letzte Mohikanerin“. Doch anno 2008 kam auch Irmgard schließlich im Jenseits an. „Himmlisch!“ heißt demzufolge der Titel ihrer One-woman-Show, in der sie, nunmehr befreit von drückendem irdischem Ballast, über die Ewigkeitsangebote diverser Religionen sinniert.

Nach einer verunglückten Bühnennummer während eines Auftritts in der Uckermark beamte man sie aufgrund eines Navigationsfehlers zunächst in den katholischen Teil des Paradieses. Doch mit verklemmten Klerikern kann sich die nüchtern-protestantische Preußin alten Schlages ebenso wenig anfreunden wie mit dem Rest der Familie Gottes, die überall nur durch Abwesenheit zu glänzen scheint. Da heißt es, sich die Zeit vertreiben mit Seelenchat und Google Earth. Dabei trifft sie auf einen ehemaligen Grenzsoldaten der DDR, der mittlerweile zu den Zeugen Jehovas konvertiert ist, weil er sich eine Existenz ohne Wachturm einfach nicht mehr vorstellen kann. Doch auch die Zeugen Jehovas sind nichts für die frivole Irmgard, die gerne wieder sündigen würde, aber feststellen muß, daß man „da oben nicht verkommen kann“. Nichtssagend im wahrsten Sinne des Wortes erscheint ihr auch das Nirwana der Buddhisten, doch leuchtet ihr ein, daß man von dort weder Postkarten noch eine SMS erhält, „denn von nichts kommt nichts!“ Die Annäherung an die frommen Juden läßt die Erinnerung an eine alte Liebe aufflackern – an einen GI aus New York, in den sie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg verliebt war, der aber immer nur „koscher kuscheln“ wollte, weil sein Herz an Mama hing. Irmgards Fazit: „Ich lasse mich nicht mehr auf Männer ein, die nur bemuttert werden wollen.“

Solche und andere kleine feine und keineswegs zu unterschätzende Weisheiten einer erfahrenen alten Dame untermalt sie mit Chansons – eigenhändig übersetzten großen Hits von damals. Nicht nur Cole Porter und Charlie Niessen erhalten dabei auf Deutsch eine ganz eigene Note. Der vielleicht wichtigste Song dieser vierten und angeblich finalen Folge eines Knef-Zyklus vollendet die ob des dringend benötigten Zuschusses zur mageren Rente vor über zehn Jahren gestartete „furiose Alterskarriere“. Der Abend ist quasi die Krönung einer Lebensphilosophie, die lauten könnte: Southern Comfort statt Nordic Walking oder loses Mundwerk statt Entmündigung und kulminiert in einem kämpferischen Fazit, einem Lied über den „Ring des Nie-Gelungenen“.

Und selbst, wenn das durchweg gutbürgerlich-gutbetuchte Publikum in der Berliner Bar jeder Vernunft (ein Name, der sich so herrlich auf „versumpft“ reimt) sichtlich wenig mit der Textzeile „Ritt ich mal zur Walküre – war’s zur Frau vom Arbeitsamt“ anzufangen wußte, hatte Irmgard mit ihrem typischen Berliner Galgenhumor am Ende die Lacher doch auf ihrer Seite.

Lizzie Pricken