Gnadenschuß
für die Schwulenbewegung!
Hintergrund für die zunehmend geschmackloser werdende Gedenkkultur
schwuler Medien, Hobby-Historiker und Politfunktionäre ist eine verdummte
und verlogene Identitätspolitik, die mit ihren jüngsten Ausfällen
gegen den "privilegierten Juden" ihren moralischen und intellektuellen
Bankrott erklärt hat. Von Georg Klauda.
Identität = Nationalismus hoch 2
"Mit Kaiser Konstantin begann im 3. Jahrhundert nach Christus die radikale
Verfolgung von uns Schwulen", lässt Rosa von Praunheim in einem
seiner neueren Filme, abgedreht im Jubeljahr der Ausstellung "100 Jahre
Schwulenbewegung", einen seiner Darsteller berichten. Ans Bett gekettet,
in schwuler SM-Pose, resümiert dieser Mann wider Willen die gesamte Idiotie
neuerer lesbisch-schwuler Identitätspolitik. Konstruiert als Quasi-Ethnie,
werden Lesben und Schwule aufgefordert, über alle politischen Differenzen
hinweg zusammenzustehen, um ihrer "Diskriminierung" endlich ein
Ende zu bereiten. Wie man angeblich weiß, besteht diese heute darin,
nicht heiraten zu dürfen und als Offizier bei der Bundeswehr einen Karriereknick
zu erleiden. Ein Trugschluss, denn zumindest der deutsche Staat kennt keinerlei
gesetzliche Diskriminierung von Homosexuellen. Zwar gibt es eine Diskriminierung
aller Lebensweisen außerhalb der bürgerlichen Kleinfamilie; auch
eine Unterdrückung jeglicher Nonkonformisten in der erzkonservativen
Institution Bundeswehr. Aber es gibt keine besondere staatliche Diskriminierung
"aufgrund der Identität als Lesbe oder Schwuler". Schließlich
kann auch eine heterosexuelle Frau keine Frau heiraten. Doch diese Neutralität
des deutschen Staats ist den deutschen Staatshomos zuwider; sie fordern, nur
fünf Jahre nach Streichung des § 175, wieder ein Sonderrecht für
Lesben und Schwule eine Anti-Diskriminierungsklausel und eine "eingetragene
Partnerschaft" um eine nicht-vorhandene Diskriminierung zu beheben.
Nein, Identität ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.
Die Erfindung des Homosexuellen, von Michel Foucault auf das Jahr 1869 datiert,
von der neueren Renaissance-Geschichtsschreibung noch einmal um fast zweihundert
Jahre auf das Ende des 17. Jahrhunderts zurückverlegt, scheidet deutlich
unsere heutige historische Epoche von jener, "die nicht unter der Ägide
der Homo/Hetero-Spaltung funktioniert(e)" (Goldberg 1994). Was Praunheims
eingangs zitierten Film hingegen auszeichnet, ist eine Geschichtslüge:
die Annahme eines gemeinsamen, unveränderlichen Wesens, einer kollektiven
Identität über Raum und Zeit hinweg, die Anrufung eines "wir"
zu einer Zeit, als es gottlob weder "Schwule" noch "Schwulenunterdrückung"
gab, sondern lediglich einige vom kirchlichen Diskurs geprägte gesetzliche
Vorschriften gegen sodomitischen Geschlechtsverkehr, die für den praktischen
Alltag von Justiziarbehörden trotz des hohen angedrohten Strafmaßes
völlig bedeutungslos waren (so Bray 1982 und Greenberg; Bystryn 1996).
Diese Eingemeindung von vergangenen Generationen in ein kollektives Identitätsbild
ist der Logik nationalistischen Wahns entlehnt. Es sind die Kämpfe um
eine "gemeinsame Geschichte" und um die Herrschaft über einen
"abgegrenzten Raum", der sich bei der "lesbian nation"
u.a. in den Grenzgefechten gegenüber sogenannten transgressive people
wie Transen, Intersexen und Bisexuellen bemerkbar macht. Schwule, die sich
gerne toleranter geben, haben jedoch neuerdings einen anderen Sündenbock
entdeckt, mit dessen Denunziation sie sich zu den "wahren", den
"vergessenen" Opfern des Nationalsozialismus stilisieren: die Juden.
Dabei verbindet sie mit den realen Opfern des NS lediglich eine von ihnen
delirierte gemeinsame Identität, die sie als rhetorische Figur in einem
antisemitischen Spiel benutzen.
Der privilegierte Jude
"Wie so oft zuvor in ihrer Geschichte hatten die Juden ein Privileg
erhalten, das nun zu einer Last wurde." (Raul Hilberg 1991: 1131)
Das "Privileg" der Juden war ihre fast vollständige Extermination
in den von den Deutschen besetzten Gebieten. Sie wurden, anders als die andern,
einem gezielten, systematischen Vernichtungskalkül unterworfen, zu dessen
Durchführung das deutsche Volk in eine Generalmobilmachung versetzt wurde.
Die "Sonderbehandlung" der Juden ein Tarnwort für ihre
Vernichtung ist nicht vergleichbar mit der der Homosexuellen, die in
der nationalsozialistischen Ideologie kaum auftauchten. Letztere wurden von
Heinrich Himmler als "bevölkerungspolitische Blindgänger"
bewertet, denen eine "Umerziehung" die Reintegration in die Volksgemeinschaft
ermöglichen sollte. Mit 5.000 15.000 Toten zählten sie, anders
als noch in den 70er Jahren angenommen, zu den kleinsten Opfergruppen des
NS. Wie der Name der zuständigen "Reichszentrale zur Bekämpfung
der Homosexualität und der Abtreibung" zeigt, stand die Verfolgung
von Homosexuellen im selben Kontext wie die Verfolgung von Frauen, die die
bevölkerungspolitischen Pläne der Nazis durch einen Schwangerschaftsabbruch
durchkreuzten. Schwule wurden von den Nazis also nicht aus einer "homophoben"
Ideologie heraus verfolgt, nicht als Angehörige einer Gruppe mit einer
kollektiven Identität. Die einzige "Anerkennung", die Schwule
als Gruppe von den Nazis je erfuhren, war der Rosa Winkel. Dieser war neben
den anderen und dem gelben Stern Ausdruck eines Herrschaftssystems, dem es
darum ging, seine Opfer selbst noch im Lager zu klassifizieren, gegeneinander
auszuspielen und somit beherrschbar zu machen.
Heute finden die selbsternannten Sachwalter der homosexuellen NS-Opfer nichts
dabei, ihren Kampf um ein würdiges Gedenken auf eine rückwirkende
Verbesserung ihres Platzes in der KZ-Lagerhierarchie zu beschränken,
in der "sie" ja bekanntermaßen schon damals den untersten
Rang einnahmen. Schwule Erinnerungspolitik verkommt damit erstmals zu einer
Identitätspolitik, die die Logik des nationalsozialistischen Herrschaftssystems
konsequent zu Ende denkt. Zynisch erfüllt dieses in den Köpfen der
schwulen Identitätspolitiker noch heute seinen Zweck, wie die Debatte
um das den ermordeten Juden gewidmete Holocaust-Mahnmal in Berlin beweist
(vgl. den Beitrag auf S. 6). Es wäre jedoch ein Fehler, den in den Homogazetten
ausbrechenden dumpfen antisemtischen Neid auf das "Privileg" der
Juden, die nicht nur sechstausend, sondern sechs Millionen Opfer zu verzeichnen
hatten, zu eng an die Mahnmalsdebatte zu knüpfen. Bereits im November
1997 hatte sich der rechtsgrüne Redakteur der tageszeitung und
Hof-Journalist des LSVD, Jan Feddersen, eine Geschmacklosigkeit erlaubt, gegen
die schon damals niemand protestierte. In seinem Artikel "Parias der
Hetero-Familie" (taz, 20.11.97) schreibt er in einem Vergleich zwischen
Homosexuellen und Juden: "Es gibt einen Unterschied zwischen beiden Minderheiten
und der ist zentral: Juden wussten sich als Juden familiär geschützt,
Schwule oder Lesben nicht." Also noch in den Gaskammern privilegiert!
Gegen eine zunehmend geschmacklosere Erinnerungsarbeit in der lesbisch-schwulen
Szene, wie sie in der Januar-Ausgabe der Siegessäule ihr erstes
großes Debüt feierte (vgl. Positionen des whk Nr. 1: "Spritztour
zum KZ"), hilft nur der Versuch, das Leid von seiner identitätspolitischen
Instrumentalisierung zu lösen. Das heißt auch, wieder damit zu
beginnen, Homophobie in ihrem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu analysieren,
statt dem Trend zu einer intellektuell vertrottelten, quasi-nationalistischen
Minderheitenpolitik zu folgen. Zumal diese mittlerweile vom Kopf her antisemitisch
und rassistisch zu stinken beginnt. Homophobie hat mit der betroffenen Minderheit
eben nur so viel zu tun, als dass jene diese konstituiert. Ihre Analyse darf
daher den klobigen Händen der Lesben- und Schwulenbewegung getrost entnommen
werden.
Homophobie und Antisemitismus
Der Antisemitismus nach Auschwitz beweist, dass er auch ohne Juden gut leben
kann. Er wird zum Ressentiment gerade wegen Auschwitz, das die Deutschen den
Juden nie verzeihen werden. Deutsche Homosexuelle, die selber noch keinen
einzigen Akt staatlicher Diskriminierung erlebt haben, die keine Überlebenden
der deutschen Vernichtungsmaschinerie kennen, führen sich als die wahren
Opfer des Nationalsozialismus auf aufgrund einer erschlichenen gemeinsamen
Identität mit Menschen, die eine solche für sich womöglich
gar nicht in Anspruch genommen haben.
Sie tun dies mit einem unsäglich stupiden Antisemitismus, der lediglich
daraus verständlich wird, dass sie auch die gegen sie selbst gerichtete
Homophobie nicht verstehen. Denn der "reiche schwule Yuppie", gewissermaßen
eine Neuerscheinung des Dandys, stellt in vielerlei Hinsicht eine Transsubstantiation
antisemitischer Denkweisen dar. Als eine solche Wesensverwandlung, freilich
historisch ohne dieselbe mörderische Konsequenz, ist das antihomosexuelle
Klischee von einer ähnlichen Doppelstruktur geprägt. Denn einerseits
handelt es sich bei der Konstruktion schwuler Identität um eine Abspaltung
von sozial nicht zugelassenen Bedürfnissen, die als Bestandteile der
ersten Natur der kollektiven Vergesellschaftung durch Familie und Wert entgegenstehen.
Andererseits verkörpert Homosexualität auch jenes unerreichbare
und deswegen stark mit Aggressionen beladene, letztlich stoff- und naturlose
Ideal reiner Verwertbarkeit selbst. Modisch, distinguiert, flexibel, einkommensstark
und frei von familiären Bindungen, stehen Schwule angeblich für
neoliberale Kardinaltugenden und sind doch zugleich schmutzig, vergnügen
sich auf öffentlichen Toiletten "wie die Tiere", sind promisk
und weibisch, befinden sich also unterhalb der Anforderungen für einen
männlichen Subjektstatus. Gegen sie richtet sich damit potentiell derselbe
Topos, den sie selbst heute gegen die Juden gebrauchen: ausgegrenzt und doch
zugleich, in den Augen der anderen, privilegiert zu sein.
Literatur
Alan Bray: Homosexuality in Renaissance England. London 1982.
Jonathan Goldberg (Ed.): Queering the Renaissance. Durkham; London 1994.
Günter Grau (Hrsg.): Homosexualität in der NS-Zeit. Frankfurt/M.
1993.
Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden. Frankfurt/M. 1990.
David F. Greenberg; Marcia H. Bystryn: Capitalism, Bureaucracy, and Male Homosexuality.
In: Steven Seidman (Ed.): Queer Theory/Sociology. Cambridge, Mass.; Oxford
1996.
Uli Krug: Ewiges Rätsel Auschwitz. Über die Unfähigkeit den
säkularen Zivilisationsschwund auf den Begriff zu bringen. In: Bahamas
Nr.25, 1998.