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Sex im Zimmer 1207

Bekenntnisse einer Zehnjährigen

Der Stumme Portier in der Einfahrt ist diskret, wie sich’s für einen Portier gehört: „Gigi (Redaktion)“. Gigi wie Colettes Roman oder das Musical mit Maurice Chevalier. Ein etwas aus der Mode gekommener Name; allenfalls Huren und Tunten nennen sich heute noch so.

Als das in der staatsfernen Lesben- und Schwulenszene entstandene wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk) vor nunmehr zehn Jahren, im Frühjahr 1999, die ehrenamtliche Gigi gründete, etablierte es arglos die einzige sexualpolitische Fachzeitschrift in Deutschland. Presseleute riefen an, die Zahl der Abonnements stieg an, und als der eher skeptische Versuch zum Dauerexperiment geriet, wurde Gigi seßhaft: im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte, kurz HDM. Doch trotz eines Journalismuspreises erwies sich das Projekt zunehmend als riskant. Sexualität ist bekanntlich subversiv, sie zu disziplinieren existiert traditionell ein starkes repressives Instrumentarium: §218, §175/182, BGB-Ehe, Prostitutionsgesetz, Sex-Runderlaß der Bundeswehr, Homo-Ehe ... Ganz zu schweigen von chemischer Kastration, weiter aktuellen Rosa Listen oder Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröders auf das Nazi-Konzept der „Schutzhaft“ zurückgehendem „Wegsperren, und zwar für immer!“

Indes darf sich kein sexualpolitisches Journal Tabus, Denk- und Kritikverboten beugen, will es sich nicht ad absurdum führen. Aber gehen Sie mal öffentlich der These nach, jeder geschlechtliche Akt sei eine Grenzverletzung und insofern Sex von Gewalt nicht zu trennen, sehen Sie mal die Ehe als Prostitutionsverhältnis mit dem Staat als Zuhälter oder die (noch ein Nazi-Begriff) „Kinderschänder“-Hysterie als Motor der Strafrechtspolitik und Mittel des Grundrechtsabbaus. Oder trennen Sie juristisch exakt zwischen „Pädophilie“ (Sein) und sexueller Gewalt (Tun) oder schwulen „Barebackern“, die wie jedes brave Ehepaar einvernehmlich Sex ohne Kondom haben, und Menschen, die ihre Intimpartner ohne deren Wissen Gesundheitsrisiken aussetzen. Sie werden alsbald jede Menge Ärger bekommen.

Kriminalisierungsversuche inklusive. Professionelle journalistische Arbeit ist eine gute Rechtsschutzversicherung – vor Rufmord schützt sie kaum. Sei es, daß Spiegel online in erkennbarer Absicht bei der HDM-Verwaltung anfragt, ob Gigi tatsächlich Kindesmißbrauch propagiere, sei es, daß ein angeblich linkes Buchladenkollektiv nach einem kafkaesken Tribunal den Gigi-Verkauf einstellt. Oder der Monarch eines in Stil und Vorgehen an gewisse Bundesämter erinnernden ominösen Antifa-Instituts das pazifistische whk wahlweise als Teil der „rechten schwulen Gewalt-Sex-Szene“ oder eines islamistischen Terrornetzwerks deliriert.

Zusehends geraten Gigi und whk ins Visier der Rechten. Spezialität des Münsteraner Vereins „Carechild“ etwa ist es, Sexualforscher, Politiker, Künstler, Anwälte als „Gestörte“ auf schwarze Listen zu setzen, bei Arbeitgebern, Vermietern und Nachbarn anzuschwärzen und ihre bürgerliche Existenz zu bedrohen, die er zuvor selbst zur „Täterlobby“ erklärt hat und von denen er meint, die Justiz verfolge sie nicht oder zu nachsichtig. Der Vorsitzende schreckt dabei nicht vor braune Assoziationen weckenden Vernichtungsphantasien zurück. Nach der Berichterstattung über ein Strafverfahren zeigte jener Internet-Blockwart Gigi wegen Verbreitung von Kinderpornographie bei der Bonner Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien an, einer international einzigartigen staatlichen Zensurbehörde und ersten Adresse für Denunzianten jedweder Couleur. Dabei hatte zuvor schon die Berliner Staatsanwaltschaft ebenfalls auf eine Anzeige aus dem Carechild-Milieu zurückgehende Ermittlungen eingestellt: Im besagten Heft gebe es keine Spur von Pornographie. Als die Sittenwacht am Rhein die Indizierung ablehnte, reagierte das die Zeitschrift herausgebende whk mit einer Presseerklärung – und prompt klagte der eng mit der katholischen Kirche verflochtene Carechild e.V.: Man fühlte sich als „dubiose rechte Kinderschützer-Sekte“ verleumdet. Als gemeinnützig eingestuft und steuersparend gesponsert von Weltkonzernen, wurde dieser Verein im Mai 2005 vom schon seinerzeitigen SPD-Chef Franz Müntefering in Sachen Verschärfung des Sexualstrafrechts konsultiert und forderte von ihm (die SPD hat einen geschulten Instinkt fürs gesunde Volksempfinden) die Ausdehnung der „Sicherungsverwahrung“ auf jugendliche Straftäter.

Die vorzustreckenden Kosten des langwierigen Verfahrens gingen selbst bereits an die Substanz von whk und Gigi – eine heute übliche Strategie rechter Kreise gegen linke Projekte. Auch wenn das whk in diesem Fall obsiegte: die Rechte versucht weiter, sich einer allzuoft willigen Justiz als politisches Kampfmittel zu bedienen. Da wollen aus Bonengel- und Praunheim-Filmen bekannte „Männer, Helden, schwule Nazis“ wie Bela Ewald Althans nicht Auschwitzleugner und der „Freie Kamerad“ Alexander Schlesinger nicht NPD-Mitglied, Rassist und Antisemit genannt werden – obwohl Letzterer gegen den Titel „Nazi“ nichts einzuwenden hat. Ließen sich Gigi und ihr Herausgeber von solchen Helden einschüchtern, sie hätten in der Presselandschaft wie im Haus der Demokratie und Menschenrechte nichts verloren. Es geht eben doch um etwas mehr als Sex im Zimmer 1207.