Chirurgie
Im Bildungsbogen
Nr. 93 klärte eine große Tageszeitung im Ruhrgebiet Mitte Januar
die Leserinnen und Leser aus aktuellem Anlaß darüber auf, was Zweigeschlechtlichkeit
ist. Als Sohn der griechischen Liebesgöttin Aphrodite einer leidenschaftlichen
Affäre mit dem jugendlich-ranken Gott Hermes entsprungen, meint es das
Schicksal nicht gut mit Hermaphrodit. An einem Weiher trifft der Jüngling
auf die Nymphe Salmakis, die ihn arg bedrängt. Von Panik ergriffen
wehrte sich Hermaphrodit. Er spürte das Mädchen überall, dann
war sie plötzlich fort spurlos verschwunden. Der Junge stieg beklommen
aus dem Wasser und entdeckte, daß er keiner mehr war. Sein Körper
war männlich und weiblich zugleich geworden ein Zauber hatte ihn auf
ewig mit Salmakis verschmolzen, zu einem Zwitter gemacht. Hintergrund
für die Nachhilfestunde in griechischer Mythologie war weniger das Interesse
an der antiken Götterwelt als der Zwitter-Prozeß vor
dem Kölner Landgericht, über den seit Dezember 2007 ungewöhnlich
viele deutsche Medien ausführlich berichteten. (Vgl. Frau, Herr
Richter in Gigi Nr. 53, S. 33).
Nach dem am 6. Februar
zugunsten von Thomas/Christine Völling ergangenen Urteil, durch das der
Arzt verurteilt wurde, war kein Halten mehr. Intersexualität: Chirurg
muß für Entfernung von Geschlechtsorganen zahlen, titelte
die Frankfurter Allgemeine Zeitung, und andere Blätter zogen nach.
Erzwungenes Leben in der falschen Haut (Süddeutsche Zeitung,
6. 2.), Arzt machte Frau illegal zum Mann (Die Welt,
7. 2.), Intersexuelle Frau klagte erfolgreich (Rheinische Post,
7. 2.). Mit launigem Schlenker ins Religiöse suchte Der Spiegel
gar die Natürlichkeit der Zweigeschlechtlichkeit zu belegen: Und
Gott schuf das Dritte Geschlecht.
Derweil feierte das Blog
Zwischengeschlecht.info den Sieg für Christine Völling!!!
und ihren Anwalt Georg Groth. Aus dem Gerichtssaal meldete das Blog strahlende
Gesichter, klingelnde Handys, endlose Interviews ein großer Tag
für alle Zwischengeschlechtlichen! Kein Spaß hingegen für
all die unbeirrbaren Mediziner, die hofften, nach dem Prozeß nach ihrem
(für sie) bewährten Schema F einfach weiterschnibbeln
zu können: Zwitter? Na, dann erstmal die inneren Geschlechtsorgane raus!
Ganz egal, ob diese gesund sind oder krank, männlich, weiblich oder gemischtgeschlechtlich,
Hauptsache raus + Zwangsgeschlechtszuweisung. Es bleibe zu hoffen,
daß der selbstherrliche Chirurg (seine Mittäter konnten aus Verjährungsgründen
leider nicht mehr mitbelangt werden) empfindlich tief in die Tasche greifen
muß, was sich dann bei seinen Kollegen und Kolleginnen von selbst herumsprechen
wird. Dabei hatte die Gegenseite wenig unversucht gelassen, Christiane zu
verunglimpfen, therapeutische Gründe (für die umstrittene
Entfernung von Eierstöcken und Gebärmutter, die Gegenstand des Verfahrens
wegen schwerer Körperverletzung war Gigi) vorzuschieben,
die Verantwortung auf andere abzuschieben, Tatsachen zu verdrehen, und fand
sich dabei tatkräftig unterstützt durch die (wie so oft) zu einem
Großteil verloren gegangenen bzw. nicht mehr auffindbaren
medizinischen Akten im Gegensatz zu nachträglich erstellten, für
sie (wie so oft) wesentlich günstigeren Dokumenten.
Die Berichterstattung
der Mainstream-Medien wäre sicher unscheinbarer ausgefallen, hätte
Zwischengeschlecht.info den Prozeß in Kooperation mit der Klägerin
nicht minutiös begleitet und dokumentiert. Zudem hatten Zwischengeschlecht.info
und der Verein Intersexuelle Menschen e.V. am Tag der Urteilsverkündung
eine Demonstration vor dem Gerichtsgebäude organisiert. Auf Flugblättern
wandten sich Intersexuelle unter anderem heftig gegen ihre Instrumentalisierung
durch Homosexuelle, Transsexuelle und Feministinnen: In der öffentlichen
Wahrnehmung sind zwischengeschlechtliche Menschen längst im (Trans-)Gender-Diskurs
untergegangen ... Während zum Beispiel die Genitalverstümmelungen
von Frauen in Afrika geächtet und bekämpft werden, sind die Zwangsoperationen
von Zwischengeschlechtlichen vor der eigenen Tür nach wie vor kein Thema.
Dabei habe sich deren Situation in den letzten 100 Jahren massiv verschlechtert.
Während sie im 19. Jahrhundert noch hätten selbst bestimmen
können, welchem Geschlecht sie angehören möchten, werden
sie heute als Kleinkinder möglichst rasch kastriert, zwangsoperiert und
zwangszugewiesen.
Für die Düsseldorfer
Krankenschwester, die einen Kredit aufnehmen mußte, um sich das Verfahren
gegen ihren Operateur leisten zu können, ist die Auseinandersetzung mit
den Behörden indes noch lange nicht beendet. Unabhängig vom Verfahren
hat sie beim zuständigen Amtsgericht Kleve eine Personenstands- und Vornamensänderung
und beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) die chirurgische Wiederherstellung
ihres Geschlechts beantragt. Die Behörden mauern, die Personenstandsänderung
zieht sich seit 18 Monaten hin. Amtsrichter wie MDK versuchen entgegen
allen Fakten, Völling als transsexuell darzustellen, was medizinisch
als psychische Störung gilt. Dieses Vorgehen hat System
und ist den meisten Zwischengeschlechtlichen bekannt. Es geht ums Geld.
Gelingt es dem MDK-Gutachter nicht, Christiane Völling eine psychische
Störung unterzujubeln, müßte er eine Fehlbehandlung
eingestehen ... Die Indikation Rehabilitation nach Fehlbehandlung
würde eine Schmerzensgeldforderung rechtfertigen. Derzeit stehen beide
Verfahren still, denn ohne Urkunde keine Empfehlung des Gutachters,
ohne Empfehlung keine Kostenzusage der Krankenkasse, ohne Kostenzusage keine
Rekorrektur-OP, ohne Operation keine geänderte Personenstandsurkunde.
Ein ausgeklügelter bürokratischer Teufelskreis.
Ich bin ein psychisches Wrack, ein medizinische Katastrophe, beschreibt Völling in einem erschütternden Text auf Zwischengeschlecht.info ihren derzeitigen Zustand. 30 Jahre ganz allein, jeder Tag ein Überlebenskampf, ich finde keine Kontakte, bin innerlich immer noch isoliert, ich finde da nicht heraus, muß mich an Menschen erst wieder gewöhnen.