Herr
der Ratten
Wer Stanley Kubricks
1963er Filmsatire Dr. Strangelove kennt, sieht sich am 10. Oktober
bei einem Vortrag Prof. Dr. Günter Dörners am Institut für
Geschichte der Medizin der Berliner Charité an Jack D. Ripper erinnert.
Was dem durchgeknallten US-Bomber-General das verunreinigende Fluor im Wasser
für unsere Säfte, ist dem Endokrinologen sein DDT. Früh
schon habe er den Zusammenhang zwischen dessen Prävalenz in der Muttermilch
und einer allenfalls mit Hormongaben korrigierbaren lebenslangen Reduktion
der Lern- und geistigen Leistungsfähigkeit nachgewiesen. Doch trotz Verbots
des Insektizids seit den 70er Jahren in vielen europäischen Ländern
gibt es siehe PISA-Studien hierzulande auch ohne Mamis DDT-Cocktails
blöde Kinder. Wie das? Weil psychosoziale Deprivation vor dem dritten
Lebensjahr denselben Effekt zeigt. Sagt Dörner. Und da Krippenkinder
hinter den an hausfraulichen Schürzen hängenden zurückbleiben,
habe er mit Hilfe Dr. Münsters vom ZK der SED gegen den Widerstand
von Sozialmedizinern in der DDR die Einführung des bezahlten Babyjahres
ab dem zweiten Kind im Jahr 1976 durchgesetzt, welches 1983 auf Erstgebärende
ausgeweitet wurde.
Demnach müßte
die Generation der heute 20- bis 30jährigen Ossis die intellektuelle
Elite Deutschlands darstellen. Vielleicht merkts nur keiner, weil die
Elite sowohl in überdurchschnittlichem Maße die NPD wählt
als auch von Erwerbslosigkeit betroffen ist? Falsch, auch das ist eine böse
Spätfolge von zuviel DDT-Genuß, ersatzweise psychosozialer Deprivation.
Verminderte mentale Kapazitäten münden nämlich
in Negativsalden der Geburten und Todesfälle und in steigende Haushaltsschulden;
eine dadurch anwachsende Zahl der Arbeitslosen mit nachweislich geringerer
Lebenserwartung zeigt fortschreitende Zeugungsunlust und läßt die
Reproduktionsrate einer überalternden Volksgemeinschaft abstürzen.
Und wer kann all dem Einhalt
gebieten? Günstige gesamtgesellschaftliche Folgen hat laut
einer Dörnerschen Folie (siehe Seite 23) die christl. Religion,
da sich allein die Kirche noch um familiäre Beziehungen kümmere.
Die Massenhaltung in Krippen führe letztlich auch zu Bindungsunfähigkeit
und diese später ja ja! zu mehr Ehescheidungen.
Hat der Kontakt zu Mormonen? flüstert eine Zuhörerin
mit Blick auf die Folie. Nein, zu Hormonen, lautet die Antwort.
Deren Einsatz zur Ausmerzung allen Ungemachs der Welt machte den 1929 geborenen
Forscher vor vierzig Jahren so berühmt wie berüchtigt. Erhoffte
er doch auch günstige gesamtgesellschaftliche Folgen, als
er ab Ende der 60er Jahre an Ratten und später an schwulen Männern
versuchte, per Hormontherapie (Homosexualität galt ihm als behandlungsfähige
und -bedürftige Mißbildung, darum war sein Gebiet die Teratologie)
deren Triebrichtung zu ändern.
Kein Satz zu alldem in
einem nuschelnd vom Blatt abgelesenen Einstundenvortrag zur Geschichte der
Endokrinologie an der Charité, deren Oberhaupt er jahrzehntelang war
und der auffallend um des Emeritus eigene Person kreist. Einige Male
fällt das Wort Nobelpreis, aber den bekamen stets andere,
die sich freilich auf seine Spitzenleistungen gestützt hatten. Sogar
der Alternative Nobelpreis, der Right Livelihood Award, entging
ihm 1999. Für ihn blieb nur ein mickriges Großes Verdienstkreuz.
Schließlich bittet
eine jüngere Frau ihn zaghaft, etwas zu Konflikten im Zusammenhang mit
seinen Homosexualitätsforschungen zu sagen. Was folgt, ist das minutenlange
Schweigen eines tief durchatmenden, ratlos wirkenden Referenten. Dann beginnt
er, in seiner College-Mappe zu wühlen. Zum Vorschein kommt weder ein
Baldrianfläschchen noch ein Revolver, sondern ein Diapositiv, das er
sogleich an die Wand projiziert. Jenes Rattenmännchen, das da gerade
ein Weibchen bespringe, sei Überraschung! gar kein Männchen,
sondern ein in der frühen postnatalen Phase mit Testosteron behandeltes
Weibchen, das nun männliches Sexualverhalten zeige.
Die Frau unterbricht:
Was die Ratten mit ihrer Frage zu tun hätten. Dörner versteht nicht,
was die Frau von ihm will. Aber er weiß, wer solche Fragen stellt und
stürmt mit geradezu rättischer Instinktsicherheit in die als deviant
detektierte Ecke: Niemals, echauffiert er sich, als hätte jemand in diesem
Seminarraum einen solchen Verdacht geäußert, habe er etwas gegen
Homosexuelle gehabt, all diese Vorwürfe seien eine Kampagne weniger Betroffener
gewesen! Sogar beim Bundespräsidialamt hätten interessierte Kreise
protestiert und verlangt, ihm sein Verdienstkreuz wieder zu entziehen und
sich später dafür entschuldigen müssen. Dabei habe er mit seinen
Befunden, die nachgewiesen hätten, daß Homosexualität eine
biologische Variante ist, gleichermaßen in der DDR wie in der BRD die
Abschaffung des §175 bewirkt! Auch die Weltgesundheitsorganisation
Da kann ich Ihnen Dokumente vorlegen! habe er davon überzeugt,
Homosexualität 1992 aus dem International Code of Deseases zu streichen.
Und immer habe er sich für die Gleichstellung homosexueller Beziehungen
stark gemacht.
Natürlich. Prof. Dr. Günter Dörner wollte immer nur das Beste für die Homosexuellen. Stumm bezeugen es hinter seinem Rücken zwei dank seiner Hilfe lesbisch gewordene Rättinen.