Am 1. Juli 1934 geschieht in der Haftanstalt München-Stadelheim ein Mord.
Täter ist der SS-Unterführer Theodor Eicke, das Opfer heißt
Ernst Julius Röhm und war bis zum Vortag Reichsminister und Stabschef
der vier Millionen Mann zählenden Sturm-Abteilung (SA), der
Schlägertruppe der NSDAP.
An diesem Sonntag macht die Berliner Morgenpost mit Kampf gegen
Volksschädlinge auf. Röhm sei tags zuvor aus Partei
und SA ausgestoßen, in Bayern bei einer durchgreifenden
Aktion gegen eine Gruppe von Verrätern und Meuterern verhaftet
und sieben SA-Führer liquidiert worden. In der reichsweit über tausend
Tote fordernden Nacht der langen Messer endet in Wiessee,
dem Herd der Verschwörung (Leipziger Neueste Nachrichten)
ein Machtkampf in der NS-Spitze. Röhm, der es im Weltkrieg zum Generalstabsoffizier
gebracht, im Freikorps Epp die Münchner Räterepublik bekämpft,
1923 an Hitlers Putsch mit seinem Korps Reichskriegsflagge teilgenommen
hat und nun SA und Reichswehr vereinigen wollte, stand Hitlers Wehrmachtsplänen
genauso im Wege wie dem Reichsführer einer am 20. Juli 1934
aus der SA gelösten Unterabteilung: der SS.
Durch die radikale Links-Presse gehen seit einiger Zeit Anschuldigungen,
Witze, Hiebe auf den Hauptmann Röhm, einen Angestellten der Hitler-Bewegung,
kritisierte Kurt Tucholsky in der Weltbühne vom 26. April 1932.
Röhm ist also homosexuell. Das Treiben gegen ihn nimmt seinen Ausgang
von Veröffentlichungen der Münchner Post, die diese Tatsache
enthüllten. Da ist ferner ein Brief veröffentlicht worden, den Röhm
über seine Veranlagung an einen Freund geschrieben hat das Dokument
könnte grade so gut in jeder Psychopathia sexualis stehn, und der Brief
war nicht einmal unsympathisch. Er halte die Angriffe gegen den
Mann nicht für sauber: Gegen Hitler und seine Leute ist jedes
Mittel gut genug. Wer so schonungslos mit andern umgeht, hat keinen Anspruch
auf Schonung immer gib ihm! Ich schreckte in diesem Fall auch nicht
vor dem Privatleben der Beteiligten zurück immer feste! Aber das
da geht zu weit es geht unsretwegen zu weit.
Zunächst soll man seinen Gegner nicht im Bett aufsuchen.
Das einzige, was erlaubt wäre, ist: auf jene Auslassungen der Nazis hinzuweisen,
in denen sie sich mit den orientalischen Lastern der Nachkriegszeit
befassen, als seien Homosexualität, Tribadie und ähnliches von den
Russen erfunden worden, die es in das edle, unverdorbene, reine deutsche Volk
eingeschleppt haben. Sagt ein Nazi so etwas, dann, aber nur dann, darf man
sagen: Ihr habt in eurer Bewegung Homosexuelle, die sich zu ihrer Veranlagung
bekennen, sie sind sogar noch stolz darauf also haltet den Mund.
Seine Veranlagung, so Tucholsky, widerlege Röhm gar nicht. Er kann
durchaus anständig sein, solange er nicht seine Stellung dazu mißbraucht,
von ihm abhängige Menschen aufs Sofa zu ziehn, und dafür liegt auch
nicht der kleinste Beweis vor. Wir bekämpfen den schändlichen Paragraphen
Hundertundfünfundsiebzig, wo wir nur können; also dürfen wir
auch nicht in den Chor jener miteinstimmen, die einen Mann deshalb ächten
wollen, weil er homosexuell ist. Hat Röhm öffentliches Ärgernis
erregt? Nein. Hat er sich an kleinen Jungen vergriffen? Nein. Hat er bewußt
Geschlechtskrankheiten übertragen? Nein. Das und nur das unterliegt der
öffentlichen Kritik alles andre ist seine Sache (...) Kreischt
Goebbels oder donnert Hitler etwas über die Sittenverderbnis der neuen
Zeit, so halte man ihnen vor, daß selbstverständlich unter den
Nazitruppen Homosexuelle stecken.
Daß die Linke zuvor Röhms sexuelle Vorlieben skandalisiert hat,
erweist sich nicht nur für seinen Sturz als propagandistisch nützlich,
sondern als fatal für das weitere Schicksal Homosexueller unter den Nazis.
Als Initial für die 1935 erfolgende Verschärfung des §175,
die Tausende in Zuchthäuser und KZ bringen, sie Gesundheit und Leben
kosten wird, verschmelzen in jenen Tagen sexuelle und politische Subversion
zur logischen Einheit: Vielleicht grade durch seine Veranlagung umgab
er sich in seinem ganzen Stab und den führenden Stellen der SA mit solchen
Männern, die nun ihrerseits in ihm den Gedanken erweckten, daß
er der starke Mann Deutschlands wäre, unterrichtet am 30. Juni
1934 Göring die Presse über die zum Röhm-Putsch
deklarierten angeblichen Umsturzpläne dieser kranken Individuen,
und Hitler befiehlt selbigen Tags, er erwarte, daß alle SA-Führer
peinlichst darüber wachen, daß Verfehlungen nach §175 mit
dem sofortigen Ausschluß der Schuldigen aus SA und Partei beantwortet
werden. Es folgen verbale Entmannung und Entmenschung: Ich will
Männer als SA-Führer sehen, und keine lächerlichen Affen.
Am 2. Juli 1934 meldet die Berliner B.Z. am Mittag: Ruhe
und Ordnung wiederhergestellt. Säuberungsaktion beendet. In der
linken unteren Ecke ein knapper Vierzeiler: Dem ehemaligen Stabschef
Röhm ist Gelegenheit gegeben worden, die Konsequenzen aus seinem verräterischen
Handeln zu ziehen. Er tat das nicht und wurde daraufhin erschossen.
Beim Rechtsnachfolger, 70 Jahre später. Nazi-Führer kreischen ganz
selbstverständlich über die Sittenverderbnis der neuen Zeit.
Aber ebenso selbstverständlich, wie unter den Nazitruppen Homosexuelle
stecken, verkehren schwule (und lesbische) Nazis wie einst Röhm
in seiner (noch bestehenden) Berliner Lieblingskneipe Kleist-Kasino
in der Subkultur, wo sie herzlich willkommen sind: Als zeigte sich
darin anderes als mörderischer Geist, wird die dumpfe Ästhetik ihres
Outfits und Gebarens zu Mode und Fetisch verharmlost; als geil
angehimmelt, posieren sie in Webportalen unbehelligt vor Wie hieß
Röhms Freikorps? legalen Reichskriegsflaggen und marschieren auf
CSDs. Längst sind Teile ihrer Ideologie in der Community
akzeptiert, und die Abwehrkräfte des Homo-Mainstreams schwinden weiter.
Darum dieser Gigi-Schwerpunkt.
Eike Stedefeldt