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Der CSD steht für mich gegen Ausgrenzung und für Lebensfreude“ antwortete in der Juli-Ausgabe der Kölner BOX die SPD-Frauen- und Familienpolitikerin Ulla Schmidt auf die Frage, was sie „zur CSD-Schirmherrschaft bewogen“ habe. Weder sich selbst noch den Kölner Lesben- und Schwulentag (KLUST e.V.) hat die BOX wohl gefragt, was die Veranstalter der Kommerz-Parade bewogen haben könnte, ausgerechnet der Bundesgesundheitsministerin die Schirmherrschaft über das anzutragen, was mal der Gedenktag an einen Aufstand sozialer Underdogs war. Wer halbwegs bei Verstand ist, verfällt nicht auf solche Figuren, es sei denn, er ist ein ausgesprochener Zyniker.

Das Wort „woran“ kennt der BOX-Interviewer nicht, also fragt er: „An was arbeiten Sie gerade?“, und Frau Ministerin antwortet in ähnlich schlechtem Deutsch nicht: „An der“, sondern „Die Sicherung der gesundheitlichen Versorgung für alle in der Gesetzlichen Krankenversicherung.“ Wüßte der BOX-Mensch etwas von dem, was Frau Ministerin gerade tut und plant, könnte er kritisch nachhaken. Doch er ahnt allenfalls, daß es Leute gibt, die davon Ahnung haben: „Bekommen Sie persönlich die Kritik unzufriedener Bürger über Ihre Reformen mit?“ Darauf entringt sich Ulla Schmidt statt einer klaren Aussage ein Verbalpups: „Daß es Kritik gibt, verstehe ich sehr gut, denn unsere Reformen verlangen den Menschen etwas ab. Aber in der Gesundheitspolitik zum Beispiel geht es darum, daß sich weiter alle Gesundheit leisten können.“

Genau die wird für viele nach den rot-grünen Plänen künftig unerschwinglich sein. Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) soll nämlich nicht mehr paritätisch, das heißt zur Hälfte durch die „Arbeitgeber“, sondern ausschließlich von den Versicherten selbst finanziert werden. Damit nicht genug, wird sie bei weitem nicht mehr alle medizinischen Leistungen übernehmen, was wie gewohnt vor allem die Ärmsten trifft, darunter chronisch Kranke im allgemeinen und Menschen mit HIV und AIDS im speziellen, die, sofern sie nur wenige Rentenversicherungsjahre nachweisen können, ohnehin mit Erwerbsminderungsrenten abgespeist werden, die nicht existenzsichernd sind.

Davon ahnen selbstverständlich weder Kölner CSD-Vereine etwas noch die Redaktion eines Schwulenblattes, das erst im Juni anläßlich des 10. Jahrestages seines Ersterscheinens als Hauptanliegen seiner Gründung „Aufklärung und Solidarität in Sachen AIDS“ angab.
Die Wochenzeitung Freitag veröffentlichte Ende Mai Eckpunkte dieses Horrorszenarios. Demnach bezahlt die Krankenkasse keine nicht rezeptpflichtigen Arzneien mehr; wem diese besser helfen, der muß sie in voller Höhe selber zahlen. Sehhilfen werden nur noch in schweren Fällen bezuschußt. Kennen Sie Optiker-Preise? Die Zuzahlungsbefreiung bei Medikamenten wie Krankenhausaufenthalten wird gestrichen zugunsten einer Mindestbeteiligung für sozial Schwache. Kombi-Therapien bei HIV? Gucken Sie erst mal in ihr Portemonnaie. Vier Wochen im Krankenhaus? Da dürfte der Rest Ihrer monatlichen Stütze kaum mehr Ihren Wellensittich ernähren. Eingeschränkt wird auch die freie Arztwahl: Man kann einen Spezialisten nur noch nach Überweisung durch den Hausarzt aufsuchen, der freilich, so lange es geht, lieber allein das Honorar kassieren wird, als es sich mit einem Kollegen zu teilen. Ob er die Krankheit richtig diagnostiziert oder falsch therapiert, wird der Patient vielleicht erst merken, wenn es zu spät ist. Von Fachärzten wird ihn auch der Umstand fernhalten, daß bei jedem Arztbesuch, mit Ausnahme von Kinder-, Augen-, Hausärzten und Gynäkologen, künftig eine „Praxisgebühr“ in Höhe von 15 Euro fällig wird. Menschen mit Syndromkrankheiten – AIDS ist eine unter vielen – brauchen in der Regel eine Vielzahl spezialisierter Mediziner. Ob die dann anschreiben lassen, ist noch unklar.

Obwohl ihr Motto „Weil du arm bist, mußt du früher sterben“ lautet – erst recht, wenn du dich außerhalb des Ehebetts infiziert hast –, ist Ulla Schmidt als Schirmfrau des Kölner CSD auserkoren worden. Dem KLUST gehören Lesben an, die sich wohl ähnlich intensiv mit Frau Schmidts segensreichem Wirken befaßt haben wie die Homosexuellen von der BOX. Darum mußte ihnen entgehen, daß „versicherungsfremde Leistungen“ wie Schwangerschaftsabbruch und Mutterschaftsgeld (Lesben haben bekanntlich oft und gern Kinder) nicht mehr von der GKV bezahlt werden sollen. Ulla Schmidts Ministerium hat bisher auch noch kein Interesse daran gezeigt, die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer bei der Assistierten Reproduktion (vgl. Gigi Nr. 5, Dezember 1999) anzutasten, die weiter statuiert: „Die Anwendung der Methoden bei alleinstehenden Frauen und in gleichgeschlechtlichen Beziehungen ist nicht zulässig.“ Im Klartext: Alleinstehende Frauen und Lesben haben kein Recht auf künstliche Befruchtung, mittelbar auch schwule Männer nicht. Aber vielleicht waren die KLUST-Lesben auch nur konsequent: Die künstliche Befruchtung wird sowieso aus dem Leistungskatalog der GKV gestrichen.

Aber: Ulla Schmidt ist Ministerin, und für staatstreue Homophile zählt nichts so sehr wie die Beachtung durch Leute, denen, mit Carl von Ossietzky (Weltbühne, 3. November 1929) gesagt, „Mangel an politischer Befähigung den Weg zu höchsten Ehrenämtern“ sicherte. Da vergessen dann sonst so mißtrauische und gegen sexuelle Gewalt bereite Lesben, sich kundig zu machen, ob da nicht mit der Ministerin eine einschlägig aufgefallene Halbweltdame auf ihrem Tisch tanzt: „In der ‘Kasino-Affäre’ um angebliches Glücksspiel in einer Bar ihrer Schwester“, so Gigi-Autor Peter Kratz 1995 in seinem Buch „Rechte Genossen“, „mußte Ulla Schmidt nach Berichten der Aachener Lokalpresse vor Gericht ihre Beteiligung an dem Barbetrieb eingestehen. In einem früheren ‘Rotlicht’-Etablissement der Schwester namens ‘Barbarina’ – so berichtete der Stern – habe die Staatsanwaltschaft sogar bei einer Razzia Ulla Schmidt als ‘Bedienungspersonal’ registriert und Videofilme mit Vergewaltigungs-Pornographie beschlagnahmt: ‘Notzuchtsszenen’, ‘Brutalitätsszenen’ zitierte der Stern aus den Akten.“ Besagter Stern-Artikel vom 13. März 1995 war mit „Geld, Gier und Genossen“ überschrieben. Irgendwie ist Ulla Schmidt dabei geblieben. Nur die Folgen haben ganz neue Dimensionen angenommen.

Eike Stedefeldt