Luxemburg
Vom Standpunkte der opportunistischen Auffassung des Sozialismus, las
man in der Leipziger Volkszeitung am 6. Juli 1899, muß
auch der Eintritt der sozialistischen Elemente in die Regierung ebenso erwünscht
wie natürlich erscheinen. Denn: Da die Erzielung naheliegender
greifbarer Erfolge, gleichwohl auf welchem Wege, die leitende Linie dieser
Praxis bildet, so muß der Eintritt eines Sozialisten in die bürgerliche
Regierung dem 'praktischen Politiker als ein unschätzbarer Erfolg
erscheinen. Was kann nicht ein sozialistischer Minister alles an kleinen Besserungen,
Linderungen, an allerhand sozialem Flickwerk durchführen!
Zu
Jahresbeginn sorgte die Präambel einer Berliner Koalitionsvereinbarung
für Schlagzeilen, in der die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)
für alles die historische Alleinschuld übernimmt außer für
die Schlacht im Teutoburger Wald. Unbeachtet blieb dadurch leider dieser Passus:
Die Schüsse auf die revolutionären Arbeiter im Januar 1919
haben schweres Leid und Tod über viele Menschen gebracht. Sie waren Ausdruck
eines Regimes, das zur eigenen Machtsicherung sogar das Recht auf Leben und
körperliche Unversehrtheit mißachtete. Wenn auch der Bürgerkrieg
von beiden Seiten geführt wurde, die Verantwortung für dieses Leid
lag ausschließlich bei den Machthabern der SPD. Für die Verfolgung
von Kommunistinnen und Kommunisten und anderen Teilen der demokratischen Opposition,
für deren Inhaftierung unter menschenunwürdigen Bedingungen bis
hin zum Tod und für die Hinrichtungen Andersdenkender trägt die
SPD eine bleibende Schuld. Zusammen mit den damaligen Entscheidungsträgern
des deutschen Militärs ist sie verantwortlich für die gewaltsame
Niederschlagung des von ihr zum 'Spartakus-Aufstand umgelogenen Volksaufstandes
vom Januar 1919, die Mordhetze gegen Luxemburg und Liebknecht und zahlreiche
Menschenrechtsverletzungen. Die Distanzierung der SPD von ihren Unrechtstaten
in der Weimarer Republik wäre ein wichtiger Schritt zur Aufarbeitung
ihrer unheilvollen Geschichte.
Ersetzen
Sie Kommunisten durch Sozialdemokraten, Revolution durch Mauerbau und SPD
durch SED, dann haben Sie fast den tatsächlichen Wortlaut des verlogenen
Originals; man sollte einer PDS-Spitze den alljährlichen Gang zur Gedenkstätte
der Sozialisten sofort untersagen, die sowas unterzeichnet hat. Das Ritual
Luxemburg-Liebknecht-Demonstration übertüncht nur mehr die nachträgliche
Duldung der Ermordung jener, deren Namen die Parteizentrale der PDS und ihre
Parteistiftung tragen.
Im
Eingang des Finanzamtes in Berlin-Kreuzberg hängen seit Freitag, dem
9. November 2001, 13.30 Uhr, zwei Tafeln, deren Realisierung eine dreizehnjährige
Kontroverse vorausging. Berlin 1919 Revolutionskämpfe im
Zeitungsviertel. Im Januar 1919 wurden hier, in der ehemaligen Garde-Dragoner-Kaserne,
regierungstreue Truppen aus Potsdam einquartiert. Kurz zuvor hatten bewaffnete
Arbeiter und Soldaten das nahegelegene Zeitungsviertel besetzt. Die in diesem
Gebäude untergebrachten Truppen erstürmten am 11. Janu-ar das besetzte
Vorwärts-Gebäude in der Lindenstraße (heute Mehringplatz).
Sieben Besetzer, die durch Verhandlungen eine friedliche Übergabe des
Verlagsgebäudes erreichen wollten, wurden gefangengenommen und anschließend
hier im Hof erschossen. Bei der Räumung des Vorwärts-Gebäudes
machten die Regierungstruppen 295 Gefangene und brachten sie ebenfalls in
die Kaserne und mißhandelten sie schwer. Es folgen die Namen,
Berufe, Geburtsdaten und -orte der ermordeten Emissäre.
Warum
es zur Besetzung kam, erklärt die zweite Tafel unterm Datum 5. Januar 1919:
Mit der Absetzung des Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn
(USPD) durch den preußischen Innenminister Paul Hirsch (SPD) hat die
radikale Linke tags zuvor ihre letzte Machtbastion verloren. Darauf erklären
ihre Anhänger die Regierung für abgesetzt und besetzen das Zeitungsviertel
um die Koch- und Lindenstraße. Denn dort hatte die SPD Machtbastionen
wie den Vorwärts, der die Stimmung gegen die revolutionäre Linke
anheizte und letztlich die rechten Freikorps bei der Ermordung der KPD-Führer
legitimierte. Erstaunlich genug, daß die SPD auf den ohne großes
Aufsehen enthüllten Tafeln überhaupt genannt wird; ein sozialdemokratischer
Kompromißvorschlag sollte 1999 alles Böse allein ihrem
Bluthund Gustav Noske zuschieben, auf daß die Gute Alte
Tante so unbefleckt bleibe wie Ebert, der Statthalter des alten Staats
(Sebastian Haffner), Scheidemann, Landsberg und Wissell.
SPD
und PDS bekennen sich im Wissen um das Trennende aus der Geschichte dazu,
daß die Vergangenheit nicht auf Dauer die Zukunft beherrschen darf.
Dies kann aber nur gelingen, wenn nicht verdrängt und vertuscht wird.
Der offene Umgang mit den Verbrechen an der Demokratie und den individuellen
Rechten, die Übernahme von Verantwortung sowie der Respekt vor den Opfern
sowie die Bewahrung ihres Andenkens sind Voraussetzungen für Versöhnung
und innere Einheit. Sie sind auch Voraussetzungen dieser Koalition.
Das nun steht tatsächlich so in der rot-roten Präambel, aber
kein Wort etwa von der Teilnahme an Kriegen, die Deutschland, nunmehr als
Bundesrepublik, abermals einer SPD-Regierung verdankt.
Respekt
vor den Opfern dokumentieren in dem von Sozialisten mitregierten Hauptstadtbezirk
Friedrichshain-Kreuzberg unterdessen verschmutzte Plexiglastafeln am ungemütlichsten
Ort eines unbeliebten Amtes, vor deren Anbringung sich niemand der Mühe
unterzog, die dreckige Wand dahinter zu tünchen.
Das obige Zitat aus der Leipziger Volkszeitung stammt übrigens aus dem Artikel Eine taktische Frage von Rosa Luxemburg, deren Geburtstag sich am 5. März zum 131. Male jährte. Der Senator für Wirtschaft und Gleichstellung der deutschen Hauptstadt heißt 103 Jahre danach Gregor Gysi. Die Vertreter der Arbeiterklasse können, ohne ihre Rolle zu verleugnen, nur in einem Falle in die bürgerliche Regierung treten: um sich ihrer gleichzeitig zu bemächtigen und sie in die Regierung der herrschenden Arbeiterklasse zu verwandeln. Luxemburg meinte damit Sozialisten, nicht Gregor Gysi oder die Partei des Demokratischen Sozialismus.
Eike Stedefeldt