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Schwule, Spanner, Sexverbrecher –
Eine (unvollständige) Chronik staatlicher Repression


1980

Auf der CSD-Demonstration am 28. Juni in Hamburg entdecken TeilnehmerInnen verdeckt fotografierende Zivilpolizisten. Als sie die Herausgabe der Fotos verlangen, setzen die Beamten Sprühgas ein. Schwulengruppen debattieren daraufhin das tatsächliche Ausmaß staatlicher Bespitzelung. Zwei Tage nach dem CSD zerschlagen Schwule in acht Toiletten der Stadt Einwegspiegel, durch die die Behörden jahrelang den “Publikumsverkehr” beobachteten. Die heimliche Kontrolle am Pinkelbecken erregt bundesweite Empörung. Der Spiegel kommentiert die “Klappenspiegelaffäre”: “Wer nicht gleich konnte und zu lange am Urinbecken stand oder zur Seite blickte, lief Gefahr, Hausverbot zu bekommen – ob schwul oder nicht.” Auf öffentlichen Druck räumt die Polizei schließlich ein, Hausverweise gegen mindestens 1200 Personen sowie Anzeigen wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses ausgesprochen zu haben.

1982

In Berlin registriert die Ermittlungsgruppe Schwule beobachten die Polizei in der ersten Jahreshälfte einen Anstieg von Kontrollen und Einschüchterungsaktionen in Cruising-Areas, die Innensenator Heinrich Lummer (CDU) zu verantworten hat. Im August erreichen die Aktionen mit einer Razzia in Tom's Bar ihren Höhepunkt. Auf ihrem vierten Bundestreffen in Göttingen erklärt die Demokratische Schwuleninitiative (DeSI): “Gerade jetzt werden wieder verstärkt Razzien in Treffpunkten von Homosexuellen durchgeführt, um die Rosa Listen zu füllen.” Das Schwulenmagazin Torso kommentiert: “Vorhandene Rosa Listen werden nicht vernichtet und es gibt genügend Hinweise, dass neue angelegt werden ... Wir wagen zu behaupten, dass das ... dem Zweck dient, uns als ‘Sicherheitsrisiko’ frühzeitig zu erfassen und ... entsprechend zu disziplinieren.” In München erregt der Kreisverwaltungsreferent Peter Gauweiler (CSU) mit Säuberungsaktionen auf der Klappe im Stachus-Untergeschoss Aufsehen. Zuvor hatte der CSU-Generalsekretär Stoiber gefordert, man müsse “das Homosexuellenproblem eindämmen”.

1983

Die Staatsanwaltschaft I in München urteilt, die in einem Antrag der CSU-Stadtratsfraktion enthaltene Wertung, homosexuelle Klappengän-ger seien “soziallästig”, stelle keine Beleidigung dar. In den Hauptbahnhöfen Frankfurt a. M., München und Essen erteilt die Bahnpolizei Haus-verbote gegen “Gliedvorzeiger” und “Anhänger der Gewerbsunzucht” – bundesweit gegen etwa 60.000 Personen jährlich. Teile des Bahn-hofsgebäudes in Frankfurt a.M. werden per Video überwacht. In Karlsruhe “schüren regelmäßige Polizeikontrollen in der Szene ein Klima der Einschüchterung. Betroffene befürchten sogar eine geheime Kartei.” (Karlsruher Rundschau) Der Bundeswehrgeneral Günter Kießling wird vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) – fälschlich – “in der Kölner Szene eindeutig identifiziert” und muss seinen Abschied nehmen. Angesichts der allgemeinen AIDS-Hysterie führen Behörden im gesamten Bundesgebiet verstärkt Razzien und Kontrollen durch.

1984

In München setzt die Polizei Lockvögel auf Toiletten ein: “Polizeieinsatz im Pissoir: Verhaftet, weil beim Pinkeln nichts mehr ging!” (TZ) In Hannover führt die Polizei am 20. Juli eine Razzia in fünf Schwulenkneipen durch, bei der laut Behörde “alle anwesenden Personen” – mindestens 94 – “registriert werden müssen”. Die Polizei spricht von einer “in dieser Größenordnung bisher nicht erfolgten Aktion” aus Gründen des Jugendschutzes. Die Berliner Gesundheitsverwaltung weitet den amtlichen Empfängerkreis von Personendaten über Träger von Geschlechtskrankheiten erheblich aus. Innensenator Heinrich Lummer erklärt, regelmäßige Poli-zei-einsätze gegen “verdächtig erscheinende Perso-nen” im Tiergarten dienten “dem Schutz der Homo-sexuellen”. Allein an einem August-Abend werden über 200 Personen kontrolliert – darunter auch Gäste eines nahe gelegenen Punklokals. Ein schwules Razzientelefon dokumentiert fortan alle Polizeiübergriffe.

1985

Die CDU-Fraktion in Berlin-Tiergarten stellt den Antrag, “die umweltschädigende Übernutzung des Tiergartens in seinen Kernbereichen” einzuschränken. Am 12. April führt die Polizei eine “Rou-tinerazzia” in der Szenebar Querelle sowie rund um die Klappe an der Siegessäule durch. Der Justizsenat gibt die Existenz von §175-Dateien bei Polizei, Amts- und Staatsanwaltschaft zu. Die Daten werden bis zu zehn Jahre verwahrt. Zu den Wahlen zum Abgeordnetenhaus fordert ein Bündnis von Berliner Schwulengruppen “das Zusammenstellen von Rosa Listen technisch unmöglich zu machen. Personenkontrollen an schwulen Treff-punk-ten und in schwulen Kneipen sind unzulässig”. In Kassel geraten Klappen ins Visier der alternativen Stattzeitung: “Wen aber die Natur nicht so großzügig mit körperlicher Schönheit bedacht hat, wer die 30 schon überschritten hat, der wird wohl weniger leicht an einer Klappe vorbeikommen.” Der schwule Bundes-tagsabgeord-nete Herbert Rusche (Grüne) entdeckt im Mainzer Hauptbahnhof eine Videoüber-wachung an der Bahnhofsklappe. In München schickt Peter Gauweilers Kreisverwaltungsreferat Spitzel in Klappen und Homo-Kneipen – der Wirt des Bel Ami verliert daraufhin seine Lizenz. Die Schwulenbe-wegung weist das Vorhandensein von Rosa Listen in der bayrischen Landeshauptstadt nach. In Bremen wirbt die Polizei V-Leute in der Schwulenszene an und setzt agents provocateurs ein. Die Behörden legen Namens- und Bildkarteien an. Der Spiegel berichtet über den Verfas-sungsschutz, die Behörde sammele so hemmungslos Daten, dass ein Prüfungsbericht der Bundes-Datenschutzbeauftragten nur unter extremen Geheimhaltungsmaßnahmen von den Bundestagsabgeordneten eingesehen werden konnte: “Speichermerkmal für triebhafte Personen in der Datei der Verfassungsschützer ist H 70, für Homosexuelle H 71, für Bisexuelle und für Lesben sind H 72 und H 73 reserviert.” (Siegessäule) In Hannover gründen Schwule die Zentrale Erfas-sung Homosexualität (ZEH). Das Projekt will u.a. auf Diskriminierungen als “systembedingte gesellschaftspolitische Erscheinungen” aufmerksam machen.

1986

Die Kontrolle von Bars, Saunen und Klappen in München wird verstärkt. Peter Gauweiler plant die Anwendung des Bundesseuchengesetzes auf AIDS-Kranke. Der Berliner Tagesspiegel berichtet im Juli von einer “Großrazzia” in einem – laut Polizei – “Homosexuellenschuppen” in der Motzstraße. In Bremen werden Homosexuelle als “HIV-Risikoverdächtige” ohne deren Einwilligung getestet. Das Rat & Tat Zentrum der Stadt verweist auf die immer noch bestehende Schwulen-Kartei bei der Polizei. Angesichts der neuen Sicherheitsgesetze, die den Austausch von Dateien zwischen Polizei und Geheimdiensten ausweiten, beteiligen sich Schwule am Berliner Koordinationstreffen gegen Überwachung und engagieren sich gegen die für 1987 geplante Volkszählung: “Von der Vorstellung von Rosa Listen muss man sich lösen; computergespeicherte Persönlichkeitsmerkmale, die an verschiedenen Orten abgefragt werden können, sind indes nicht erfreulicher.” (Siegessäule)

1988

Rosa Listen-Skandal in Köln. Nach dem Mord an einem Schwulen lädt die Polizei mindestens 250 Schwule, die in der Kartei der Bahnpolizei ver-zeichnet sind, zum Blutgruppennachweis ins Polizeipräsidium. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten spricht daraufhin von “erhärteten Tatsachen, dass im Austausch mit anderen Städten ... Auskunft über Homosexuelle aus Listen gegeben wird.” Der Bundesverband Homosexualität (BVH) fordert “ein nachprüfbares Verbot der Speicherung von Schwulen bei allen Sicherheitsbehörden” und eine Abschaffung der Bahnhofsverweise durch die Bahnpolizei. Die Innenministerkonferenz der Länder beschließt, die Speicherung von Hinweisen auf HIV-Infizierungen in das Ermessen des Bundes und des jeweiligen Landes zu stellen. Als einziges Bundesland erklärt Niedersachsen, Daten über HIV-Infizierte ab sofort nicht mehr in der Polizeidatenbank INPOL zu sammeln. Die Angaben zu 43 gespeicherten Per-sonen werden gelöscht. In Berlin wird das schwule Razzientelefon aufgelöst. “Aus seiner Tradition entstand letztlich das Schwule Überfalltelefon, nun für Opfer von Gewaltangriffen”, behauptet der schwule Journalist Jens Dobler später.

1989

Rosa Listen-Skandal in Stuttgart. Nach dem Mord an einem Schwulen auf der Klappe am Kursaal verhört die Polizei mindestens 60 Männer, die dort in den Jahren zuvor in Personenkontrollen geraten waren. Die Zeugen werden “auf freiwilliger Basis” fotografiert, außerdem nimmt die Behörde Fingerabdrücke. Baden-Württembergs Datenschutzbeauftragte Ruth Leuze kann das Vorhandensein von Rosa Listen indes weder bestätigen noch dementieren: “Die Polizei läßt mich nicht kontrollieren.” Das Schwulenmagazin Rosa Flieder spricht von einer “Schleppnetzfahndung gegen Schwule”. Vier Jahre später erklärt Jens Dobler wider besseres Wissen: “Es sei angemerkt, dass es sich im Stuttgarter Fall um die letzte bekanntgewordene Rosa Liste handelt und dass die Stuttgarter Polizei heute mit der Schwulenbewegung eine vorbildliche Zusammenarbeit eingegangen ist.”

1990

Im Februar stellt der BVH fest: “Die Polizeibehörden in Frankfurt/M. und der Hansestadt Bremen sammeln offensichtlich routinemäßig Erkenntnisse über die bundesdeutsche Schwulenbewegung ... aus Schwulenzeitungen und der Tagespresse ... Damit haben die Rosa Listen-Skandale in der Bundesrepublik eine neue Qualität erhalten.” Die Zeitungsberichte hatte nachweislich der VS gesammelt. Bei einer Un-tersuchung des Vorfalls stößt der hessische Da-tenschutz-beauftragte Spiros Simitis auf eine weitere Überraschung: “In der Akte zum BVH fand er ein Telex des LKA Wiesbaden mit den Daten von den 1987 amtierenden Vorstandsmitgliedern. Der Verteiler dieses Telex sah alle Landeskriminalämter, das BKA, den hessischen Verfassungsschutz und die Innenministerien von NRW und Hessen vor.” (BVH-Magazin). Die Demokratische Lesben- und Schwulenintitiative (DeLSI) fordert in ihrem Grundsatzprogramm “die Vernichtung aller Rosa Listen” und wendet sich “gegen eine Politik des gläsernen Menschen”, die die “lückenlose Erfassung ganzer Bevölkerungsgruppen” zum Ziel habe.

1991

In einem Widerspruchsverfahren beim Amtsgericht Stuttgart erklärt die Polizei, die Kontrollen an Schwulentreffpunkten dienten “nicht zuletzt auch dem Schutz der Homosexuellen”. Personenbezogene Daten würden in “Handakten-Akteien” bis zu fünf Jahre gespeichert. In Bayern wird bekannt, dass die Gesundheitsämter bis 1990 “im Rahmen seuchenrechtlicher Maßnahmen insgesamt 7466 Personen vorgeladen” haben, bei denen der Verdacht bestand, sie könnten andere Men-schen mit dem HIV-Virus anstecken. In 202 Fällen wurde die Vorladung mit Zwang durchgesetzt und dabei 40 Personen zwangsgetestet. Bei lediglich 3,2% der insgesamt getesteten war das Ergebnis positiv. Die “erfolgreiche” Maßnahme zeige, “dass mit diesen Maßnahmen gerade Personen mit höherem Risiko für HIV-Infektionen erfasst werden können”, erklärt Innenstaatssekretär Günther Beckstein, der in der CSU auch den Landesarbeitskreis Polizei leitet. Im November stürmt die Polizei in Berlin eine Versammlung der Arbeitsgemeinschaft Pädophile im BVH im Café Anal sowie im Café Graefe in Kreuzberg. Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) begründet den Einsatz mit der Vermutung, “dass sich im weiteren Bereich des Volksparks Hasenheide ein Brennpunkt hinsichtlich der Begehung von Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern bilden soll.”

1992

In der Nacht zum 21.März stürmen rund 40 Polizisten in Kampfuniform die Berliner Stricherbar Tabasco. Die Gäste werden mit gezogenem Knüppel bedroht und kontrolliert, mehrere beschimpft und verletzt. Die AL-Fraktion im Abgeordnetenhaus fordert daraufhin lediglich, zu den Befugnissen des Homobeauftragten bei der Polizei müsse “unbedingt eine Konsulta-tionspflicht vor Razzien gehören.” Die Bundes-arbeits-gemein-schaft Schwule Juri-sten (BASJ) rät “allen, in Klappen, Parks, Saunen, Kneipen und Discos immer einen gültigen Ausweis mitzunehmen” für den Fall, dass “die Polizei als Ordnungshüter” erscheine: “Alle, die in sol-che Razzien hineingeraten, müssen sich ausweisen und die ‘Abgleichung’ ihrer Personalien mit den zentralen Polizeidateien dulden ... Wer auf Klappen Hetero-sexuelle zu unvorsichtig anmacht, riskiert eine Strafanzeige wegen Beleidigung ... Handelt es sich bei dem anderen in Wirklichkeit ... um einen verdeckten Ermittler der Polizei, scheidet Beleidigung aus, weil es das Ziel des Polizeibeamten war, sich anmachen zu lassen ... Gelegentlich sind Schwule in solchen Fäl-len wegen exhibitionistischer Handlungen ... bestraft worden ... Es kommt in solchen Fällen allenfalls eine Ordnungswidrigkeit nach §118 OWiG in Betracht.” In Ulm, Osnabrück und Braunschweig werden nachweislich Schwulentreffs überwacht. Auf die Frage des Journalisten Jens Dobler, ob er sich in seiner Behörde einen Ansprechpartner für Homosexuelle vorstellen könne, antwortet der Hannoveraner Kriminaldirektor Peter Eggerling: “Das haben wir eigentlich schon durch die ... Sachbearbeiter innerhalb des Fachkommissariats, das auch für diesen Bereich zuständig ist ... die Sittenpolizei.” Der erste “Gesprächskreis” lesbischer und schwuler Polizeibediensteter bildet sich: “Und jeder hatte seinen Traum: Beim CSD wollten wir irgendwann in Uniform mitmarschieren.”

1993

Die Presse in Münster berichtet unter dem Titel “Homosexuellen-Treff ja – aber bitte nicht so!” im September über den Autobahnparkplatz Rohrbusch an der Autobahn A 1: “Zwar macht den Ho-mos, die sich hier im Rohrbusch verstecken, wohl die ‘Gewalt gegen Schwule’ Angst, wie dem zurückgelassenen Info-Material zu entnehmen ist. Doch ihre Frage ‘Was kannst du selbst zu deinem Schutz tun?’ stellen sich jetzt in anderer eindringlicher Weise Roxeler Bürger ... Vielleicht hilft auch hier – etwa nach dem Beispiel vieler Elterninitiativen für Tempo 30 – eine Bürgeraktion.” In einer im Auftrag des Sozialministeriums in Niedersachsen von Jens Dobler verfassten Studie geben mehr als 12 Prozent der Befragten an, schon einmal in eine Razzia oder erzwungene Personenkontrolle geraten zu sein. In Göttingen treffen sich zum dritten Mal schwule Anti-Gewalt-Projekte: “Mit der Streitfrage, ob eine Zusammenarbeit mit der Polizei legitim ist, wird heute pragmatischer umgegangen.”

1994

In Berlin gehen Polizei und BGS “mit rüden Methoden gegen Stricher” (taz) am Bahnhof Zoo vor. Ein 15jähriger schwuler Stricher muss sich vor Azubis des Bundesgrenzschutzes nackt ausziehen. “Wer gegen Hausverbote verstößt, muss damit rechnen, am Stadtrand ausgesetzt zu werden.” Die Berliner Polizei erklärt, an Schwulentreffpunkten künftig “nur noch unauffällige Razzien” durchzuführen. Auch Schwulenwirte ziehen die Notwendigkeit von Razzien in der Szene nicht länger in Zweifel. Der Wirt des Tabasco, Uli Menze, erklärt, er habe überhaupt nichts gegen die “höflichen Einsätze”, die es in den letzten beiden Jahren in seinem Lokal gegeben habe. Es gehe “allein um die Form in der solche Einsätze ablaufen.” In Kreuzberg kontrollieren Polizisten auf der Klappe Urbanstraße und erteilen mindestens drei Platzverweise: “Solange wir hier in Kreuzberg Streife fahren, bleibt dieser Platz sauber!” Unterdessen verkauft der Berliner Senat 111 von 285 öffentlichen Toiletten an die Firma Wall; die ersten Klappen werden geschlossen oder abgerissen. In Friedrichshain streifen Polizisten mit Taschenlampen durchs Gebüsch am Märchenbrunnen. Überall in der Stadt häufen sich Platzverweise auch gegen Stricher, Obdachlose und Fixer. Beim CSD in Bremen verhindert der CSD-Verein Weser/Ems “mit Hilfe der Polizei die Teilnahme der schwullesbischen Initiative ‘Suspekt’ an der Gay Parade.” (taz) In Göttingen “proben Deutschlands lesbi-sche Polizistinnen und schwule Polizisten den Aufbruch” (Magnus) auf ihrem ersten Bundestreffen.

1995

In München sorgen Polizisten für einen Skandal, als sie bei mindestens sechs Kontrollen am Hauptbahnhof Vermerke wie “Homo-Szene” und “Homo-Strich” in ausländische Pässe eintragen. Die im Stadt-rat vertretene Rosa Liste kommentiert, diese Vorfälle passten zur Strategie der Polizei. So sei es üblich, dass Polizisten in Zivilkleidung auf öffentlichen Toiletten für Ruhe und Ordnung sorgten: “Wenn zwei Männer auf einer Klappe mit Sex anfangen, tobt sofort ein Polizist herum. Ihre Personalien werden aufgenommen, eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch folgt.” In Essen, Hannover und Mannheim treten Homosexuelle und Polizei in einen “Dialog”. Im Juni gründet sich in Berlin – unter Schirmherrschaft Charlotte von Mahlsdorfs – der Homosexuelle Arbeitskreis Polizei Berlin-Brandenburg. Für den SVD fordert Volker Beck, angesichts von 30 schwulen Mordopfern pro Jahr müsse “die Polizei eng mit den Initiativen zusammenarbeiten”.

1996

Auf Druck des Münchner Kreisverwaltungsrefe-ren-ten Hans-Peter Uhl (SPD) muss die Schwulensauna Dom Pedro schließen, nachdem “erfahrene Späher der Kriminalpolizeidirektion 1” (Süddeutsche Zeitung) dort ein “Bordell” und unsafen Sex entdeckt haben wollen. Die Schließung sei “Ausdruck einer eklatanten Verschärfung von repressiven Maßnahmen gegen Schwule, die in letzter Zeit zu verzeichnen ist”, kommentiert ein Vertreter der Rosa Liste. Man habe Informationen über “teilweise mehr-ma-lige wöchentliche Razzien” sowie “Einsätze von Zivilpolizisten auf öffentlichen Toiletten, die über Kabinenwände schauten, um Schwule zu ertappen”. Zur Münchner Stadtratswahl fordert die Rosa Liste: “Die Speicherung von Daten zur sexuellen Orientierung oder über HIV-Infektionen bei Stellen, die dem kommunalen Zugriff unterliegen, sind zu löschen und zu unterbinden ... Treffpunkte ... dürfen nicht durch ... Sonderbestimmungen unter Vorwänden wie AIDS-Prävention, Jugendschutz oder Verhinderung von Straftaten beschnitten werden ... Die Überwachung von Sexshops hat sich auf den Verbraucherschutz zu beschränken und darf nicht zur Bevormundung mündiger BürgerInnen werden.” Begrüßt lediglich vom Schwu-lenverband in Deutschland (SVD) ernennt der Polizeipräsident in Köln zwei Kriminalhaupt-kommissare zu “Beauftragten für gleichgeschlechtliche Lebensweisen”. Im September schließt das Ordnungsamt der Domstadt den Darkroom der Diskothek Lulu wegen eines Gastronomiegesetzes aus den 50er Jahren. In Berlin löst Hartmut Riechers als Ansprechpartner bei der Polizei seinen Vorgänger Heinz Uth ab. “Derzeit bereitet Riechers über die Schwulenvereine die kommende ‘Cruising-Zeit’ vor. Wenn die Temperaturen steigen und die Klappen in den Parks wieder aufleben, wird auch verstärkt die Polizei vor Ort sein. Doch nicht, um Schwule zu observieren, sondern um ihnen Schutz zu bieten. Die Zeiten, als Polizisten mit Gummiknüppeln Stricher- oder andere Kneipen stürmten und gegen die ‘Schwuchteln’ vorgingen, gehören der Vergangenheit an.” (Neues Deutschland) Die Abendzeitung in Nürnberg entdeckt den “schnellen Sex auf dem Parkplatz” Eltersdorf: “Bei Sympathie führt der erste Weg ins Gebüsch.” Wenig später wird die Örtlichkeit vom Autobahnamt umzäunt; die Polizei gibt an, dort “ständig Personen” zu kon-trollieren. In der Schwulenpost gibt daraufhin Michael Glas (SVD) “Tips zum Umgang mit der Polizei”: “Die Polizei ist nahezu überall zu Ausweiskontrollen befugt. Das ist erstmal keine persönliche Schikane, sondern dient der öffentlichen Sicherheit, zum Beispiel zum Fassen flüchtiger Straftäter. Natürlich kontrollieren die BeamtInnen nicht wahllos, sondern Leute, die ihnen kontrollwürdig erscheinen.” In Fürth wird ein Parkplatz auf Drängen des CSU-Ortsverbands eingezäunt. Der örtliche Hauptkommissar Walter Köhler hofft nach dem Vorstoß der Stadträte auf Unterstützung von Innenminister Beckstein, “um die Schwulenszene zu verdrängen”. Bei einer Razzia am Tag vor der ersten sachsen-anhaltinischen CSD-Demonstration stürmen 160 schwerbewaffne-te Polizisten das Schwulenlokal Zoom in Halle. Die 75 Gäste im Lokal müssen sich ausziehen und – gefesselt – auf den Boden legen. Es werden Personalien aufgenommen und Videos angefertigt, es herrscht ein vierstündiges Sprech- und Bewegungsverbot. Der SVD-Landessprecher Martin Pfarr (SPD) erklärt beim Verbandstag 1997 in Berlin, die “angebliche Razzia gegen Lesben und Schwule” habe sich “lediglich als normaler Einsatz gegen den Drogenhandel” erwiesen.

1997

In München wird ein schwuler Tourist auf der Klappe von homophoben Polizisten verprügelt. Die Rosa Liste fordert den Stadtrat auf, “keinen Strafantrag wegen Hausfriedensbruch bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen in öffentlichen Toiletten” zu stellen. Bei Razzien in der Szene werden im März 46 Männer registriert und drei wegen Verstoßes gegen das Jugend- und Ausländerrecht festgenommen. Im Ruhrgebiet wird der gesamte Baumbestand am Autobahnrastplatz Marl-Sinsen abgeholzt. Die Polizei, die den beliebten Schwulentreffpunkt verstärkt mit einer mobilen Wache “schützte”, will die Aktion nicht veranlasst haben. In Mönchengladbach sticht ein städtischer Beamter am Rastplatz Borkener Heide an der A 52 auf einen Mann ein, weil ihn die Untätigkeit des Ordnungsamtes gegen den dortigen Schwulentreff störte. Der Datenschützer in Schleswig-Holstein, Helmut Bäumler, deckt beim Staatsschutz der Polizei massive Verstöße auf. So sei in den Akten von zwei observierten Frauen der Zusatz “lesbisch” erfasst worden. In Berlin stürmt die Polizei die Klappen am Bayrischen Platz und am U-Bahnhof Steglitz wegen “Drogenkriminalität und Prostitution”: “Ein Polizist hat zu mir gesagt, wenn es nach ihm ginge, würden alle Schwulen aus Berlin verschwinden.” Der Stadtrat will im sogenannten “Bermuda-Dreieck” um die Motz-stra-ße keine Homo-Bars mehr zulassen, weil Anwohner über “Straßenstrich und Drogenhändler” klagten. In Hamburg wird das Schwule Überfalltelefon eingeweiht. Das Szenemagazin Hinnerk rät Cruisern: “Keinen Widerstand leisten” und “dahin laufen, wo es hell ist.” Im Rundbrief PID – Infor-mationen für lesbische und schwule Polizeiangehörige, herausgegeben vom Homosexuellen Arbeitskreis Polizei (HaPol) in Berlin, bewirbt Jens Dobler sein gerade erschienenes Buch “Lesben, Schwule, Polizei. Vom Zwangsverhältnis zur Zweckehe?” mit der Bemerkung, im Hinblick auf polizeiliche Repression sei seit Ende der 80er Jahre “Entspannung angesagt”. An gleicher Stelle mahnt der ehemalige Homobeauftragte Heinz Uth (Bündnis 90/Die Grünen) die Homo-Polizisten: “Dabei gilt es gerade im Moment hellwach zu sein ... denn die Gefahr kommt frontal, nicht mehr verdeckt von hinten ... Gewalt oder Gegen-Gewalt gegen ... Bullen ist nicht mehr nur ein halblegales Mittel der aktiven Linken. Ihre politisch korrekten Gewaltformen wie Schlägereien/Schießereien ... sind Volxsport geworden. Kein Wunder, dass nun auch die Rechte Lunte riecht, reagiert ... Noch immer gilt die Polizei als einer der letzten konservativen Bastionen, weshalb vielfältige Präsenz und sichtbare Aktionen nötiger sind denn je ... Es kann doch nicht so schwer sein zum CSD ... ein Highlight zu servieren ... Eine interessante Abend- oder Tanzveranstaltung mit ... dem Innensenator ... muss doch möglich sein.” Beim CSD schließen die Veranstalter mit Hilfe der Poli-zei den Wagen des linken “Herz-mit-Hirn”-Blocks “wegen der Gewalttaten” von der Parade aus – es kommt zu “Krawallen”. (Tagesspiegel)

1998

Die Innenministerkonferenz der Länder beschließt die “Aktion Sicherheitsnetz” zur Steigerung der “Sicherheit und Ordnung in den Städten und Gemeinden”. Beim Berliner CSD filmt mindestens ein Mitglied des Homosexuellen Arbeitskreises Polizei (HAPol) im dienstlichen Auftrag den linken “Herz-mit-Hirn”-Block. Das Leipziger Queer-Bündnis erklärt daraufhin: “Homo-Bullen sind Szenespitzel!” Im gleichen Monat führt die Polizei in der Hauptstadt Klappenkontrollen am Platz der Luftbrücke und am Hermannplatz durch. Motto: “Das ist kein Bumsschuppen hier!” Die Siegessäule kommentiert, es häuften sich Meldungen, “dass die Polizei massiv und pauschal alle Anwesenden überprüft und Ausweise einsammelt. Einem Schwulen wurde dabei gar gleich für die gesamte Hasenheide ein Platzverweis erteilt.” In Stuttgart erregt sich die CDU über “einen der größten Männerstriche in Baden-Württemberg” am Fernsehturm und fordert “Maßnahmen zur Eindämmung dieses Ärgernisses”. Daraufhin teilt Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) mit, das Gebiet werde “regelmäßig kontrolliert”, Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit würden mit Platzverweisen und Bußgeldern geahndet. Der Stadtrat von Weinheim fordert die Sperrung des Parkplatzes Wachenburg an der A 5: “Die Tole-ranz-bereitschaft der dort lebenden Bewohner ist am Ende.” In Bochum erklärt die mit dem SVD unter dem Motto “Liebe verdient Respekt” kooperierende Polizei ihren “Respekt für Liebe, nicht für öffentliche Sexualität”. In Essen entdeckt die Lokalpresse unter den Helbingbrücken einen “Treff der Klemmschwestern”. In München gibt es erneut eine “Stricher-Razzia in zwei Innenstadt-Lokalen” (Süddeutsche Zeitung): “Den Beamten hätten Erkenntnisse vorgelegen, nach denen die Gaststätten von jungen, meist aus Osteuropa stammenden Strichern frequentiert würden. Diese führten dort ‘Anbahnungsgespräche zur gleichgeschlechtlichen Prostitution’ und gingen mit ihren Kunden dann in öffentliche Toiletten.” Die Landesregierung beschließt die “Initiative Bayern Sicherheit” und startet den Wettbewerb “Sauberste Großstadt”: “Die Position der CSU ist eindeutig: Null Toleranz bei Verbrechen.” Hintergrund sei “die Erkenntnis, dass nicht erst kriminelles Unrecht, sondern bereits die Verunreinigung der öffentlichen Räume ... als Unsicherheitsfaktor wahrgenommen” werde. Es nehmen u. a. Regensburg, Fürth und Nürnberg teil. In Köln diskutieren “Fachleute und Politiker” der Szene eine “neue Polizeistrategie aus den USA”: “Null Toleranz für Schwulenticker.” Zur Bundestagswahl fordert der SVD “ein Bund-Länder-Programm ... zur Optimierung polizeilichen Handelns”, um “Gewalt gegenüber Schwulen und Lesben bundesweit effektiv bekämpfen zu können.” Kurz vor der Wahl wird das “DNA-Identitätsfeststellungsgesetz” vom Bundestag verabschiedet. Es erlaubt die (Zwangs-)Entnahme von Speichelproben bei mutmaßlichen Sexualstraftätern für die Gen-Datei des Bundeskriminalamts. Im Rechtsausschuss fordert der grüne Bundestagsabgeordnete und SVD-Sprecher Volker Beck, die “Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten über das Sexualleben” durch BND, MAD und Verfassungsschutz sollten “ausdrücklich besonders restriktiven Kriterien unterworfen” werden – und nicht etwa verboten.

1999

In Stuttgart wird die lesbische Polizistin Silvia Barth Homo-Beauftragte ihrer Behörde. Ihr Kollege in Köln ist ebenfalls homosexuell: “Der 33-jährige Horst Reulecke kennt sich ‘deshalb in der Szene ziemlich gut aus’. Dieses Sonderwissen ... will der Kriminalhauptkommissar künftig einsetzen.” (Queer). Zwei Monate später wird das Cruising-Gebiet am Aachener Weiher mit einer “Baumfäll-Aktion ... ausgedünnt” (Kölner Stadt-Anzeiger). In Hamburg deckt der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Lutz Kretschmann eine Rosa Liste auf. Wer sich in der Zentralen Beschwerdestelle bei Hamburgs Polizei über einen Beamten beschwert, “wird hinter seinem Rücken mit einem intimen Persönlichkeitsraster erfasst: Ist er vielleicht schwul, ein ‘Penner’ oder spricht er schlecht Deutsch?” (Morgenpost). Gleichzeitig formiert sich in der Hansestadt eine “Allparteienkoalition für die Anwerbung homosexueller Polizeibeamter” – Initiator ist Kretsch-mann. In Freiburg sollen bei der Neuplanung der Museumslandschaft “Homosexuelle aus dem Park verdrängt werden”. (Stuttgarter Nachrichten) In München geht die Polizei im Vorfeld des CSD vermehrt auf Schwulenjagd. In Berlin ist ein Hilfsmobil für junge Stricher am Bahnhof Zoo unerwünscht. Die Schwule Presseschau kommentiert die Lage in der Hauptstadt: “Immer wieder werden in der Presse städtische ‘Krisengebiete’ konstruiert, die offenbar aus Schmutz, Drogenhandel, Gewalttaten, Prostitution und Schwulenszene bestehen. Das neueste Exemplar dieser Gattung war ein Artikel aus der Berliner Morgenpost (27.9.99), der das Areal um den Preußenplatz beschreibt und dabei nebenbei auch noch Klappe und Strich verwechselt.” Zwei Monate später wird im Park der Baumbestand gefällt. In Weinheim registriert die Autobahnpolizei bei einer Razzia auf zwei Parkplätzen mindestens 90 Männer per Fragebogen. An der A 73 bei Nürnberg werden auf Initiative der CSU Maß-nahmen durchgeführt, die jedoch “nicht gegen Homosexuelle gerichtet” seien. Im Ruhrgebiet finden Parkplatz-Kontrollen statt. Der Dortmunder SVD richtet daraufhin auf seiner Home-page “ein offenes Wort zum Umgang mit unseren Freunden und Helfern” an die Cruiser: Es sei “in letzter Zeit des öfteren zu Polizeikontrollen gekommen, die nicht im Zusammenhang mit der Fahndung nach antischwulen Gewalttätern standen. Dabei rückte der Westpark ... verstärkt in den Blickwinkel der Ordnungshüter. Deshalb besteht kein Grund zur Sorge.” Zur gleichen Zeit resümiert das NRW-Familienministerium eine dreijährige “Respekt”-Kampagne in Zusammenarbeit mit dem LSVD: “Opferorientiert wurde das Infomobil der Polizei “an sogenannten ‘cruising areas’ wie Parkanlagen in größeren Innenstadtbereichen und Autobahnparkplätzen eingesetzt. Ziel dieser Einsätze ist, das Vertrauen der Schwulen in die Polizei zu stärken.” Für das vollständig aus Landesmitteln finanzierte Anti-Gewalt Projekt des LSVD in Köln meldet dessen Leiter Jens Dobler dank eines statistischen Tricks erstmals steigende Überfallzahlen: “Wir haben einige zusätzliche Erfassungskriterien in diesem Jahr eingeführt. So erfassen wir nicht mehr nur antischwule Gewaltfälle, sondern auch jene Fälle, · die im Bereich ‘normaler’ Kriminali-tät ein-zuordnen sind. Da kein Mensch mit Gewalterfahrung von uns abgewiesen wird, werden diese genauso bearbeitet, wurden aber bislang nicht in der Statistik erfasst.” In Hessen “lässt sich beobachten, dass von behördlicher Seite wieder zunehmend versucht wird, schwulen Sex an öffentlichen Orten zu unterbinden, bzw. schwule Männer einzuschüchtern. Es werden Personal- und Fahrzeugkontrollen vorgenommen und versucht, uns Ordnungswidrigkeiten aufs Auge zu drücken. Neue Zäune werden an den Parkplätzen gezogen und teilweise sogar mit Stacheldraht und Natozaun ‘abgesichert’.” (www.gayparkplatzsex.de) In Celle wird in den Innenräumen einer Herrentoilette eine Videoüberwachung installiert. Hintergrund: “Seit den 70er Jahren ist diese Toilette ein Treffpunkt für Schwule, die verdeckt leben.” (Cellische Zeitung) Die Polizei führt Ausweiskontrollen durch und notiert Autokennzeichen. Der LSVD veranstaltet in Bonn eine “Fachtagung Polizei und Homosexualität”, von der kritische Journalisten aus der Schwulenszene ausgeschlossen bleiben. Im Anschluss an die Tagung erklärt deren Leiter Jens Dobler, dass “in den letzten zehn Jahren in der Polizei ein deutlich veränderter Umgang mit Homosexualität zu beobachten” sei.

2000

In Köln geht die Polizei bei einer Razzia im Buschwindröschen “mit unverhältnismäßiger Härte und Brutalität vor” (taz). Im Raum Bielefeld sollen “Cruising-Areale verschwinden” (Queer): Der Ravensberger Park wird per Video überwacht und Klappen polizeilich kontrolliert. “Die Toilettenanlagen wiesen an den Wänden entsprechende Angebote und Nachfragen auf.” Angesichts “verheerender Zustände” auf Parkplätzen im Ruhrgebiet warnt der schwule grüne Landtagsabgeordnete Jens Petring die Cruiser: “Bei allem Verständnis für ungezwungenen Sex an allen sich bietenden Orten sollte gewährleistet bleiben, dass sich Unbeteiligte weder belästigt noch bedroht fühlen ... Schwule können auch selbst einen Beitrag dazu leisten, dass es nicht zu Rückfällen kommt.“ In Düsseldorf und Essen werden zwei Pornokinos so umgebaut, dass dort kein Cruising mehr möglich ist, die Innenräume werden videoüberwacht. Bei Saarbrücken schließen die Behörden den Parkplatz Silbersandquelle an der A 6 und weitere Treffpunkte. Die Nürnberger Schwulenpost berichtet im Mai von rabiaten Kontrollen auf zahlreichen Klappen sowie einem Parkplatz. Die Polizei beschimpft Männer als “schwule Schweine”. Die CSU-Stadträtin Silvia Rauch sieht an den Treffs “Kinder in Gefahr”. In Regensburg werden am “Wackl” beim Schloss regelmäßig Personenkontrollen vorgenommen. Im Münchner Szeneblatt Our Munich schreibt Redakteur B. Michael Andressen (LSVD) im März: “Die Polizei ist dem Legalitätsprinzip verpflichtet. Sie muss im Rahmen von Präventionsstreifen auch auf Klappen bestehendes Recht durchsetzen ... Dazu gehört auch ... strafwürdige sexuelle Handlungen zu unterbinden. Es gibt in Bayern eben keinen rechtsfreien Raum. Und das sollten wir wissen und die Konsequenzen tragen lernen.” Einen Monat später outet sich im gleichen Magazin die lesbische Polizistin Barbara Eichstädter: “Treffe ich bei den ‘Klappenkontrollen’ ... einen Homosexuellen in eindeutiger Situation an, muss ich ihn anzeigen. Er erfüllt den Tatbestand des Hausfriedensbruchs ... Klappensex ist · verboten. Würde die Polizei Homosexuelle davon ausschließen, macht sie sich strafbar. Es ist der Polizei nicht möglich, einen rechtsfreien Raum zu schaffen ... Homosexuelle sollten verstehen, ... dass das nicht mit Verfolgung homosexueller Lebensweise zu tun hat.” Im Mai stellt Our Munich das “für die Szene wichtige Polizeirevier 12” vor: “Wenn Bürger vor allem im südlichen Teil des Parks rund um die ehemalige Klappe am Lerchenfeld ‘Auffälligkeiten’ beobachten, dann schauen die Beamten mal vorbei ... Die Streifenfahrten sind dementsprechend keine Schikane, sondern reine Routine.” Im gleichen Monat regt ein “Homo-Klo” am Kieferngarten die Nachbarn auf. “Jetzt rückt die Polizei an.” (Abendzeitung). Our Munich kündigt im Juni einen Flyer zum Thema antischwule Gewalt an, der Ergebnis einer “äußerst erfreulichen Zusammenarbeit” zwischen der Polizei “und einigen Mitgliedern der Gay Community” – u. a. Our Munich selbst – sei: “Es gab Zeiten, da waren Klappen ganz toll ... aber mittlerweile deckt unsere Szene auch außerhalb der Klos die schwulsten Wünsche ... allerbestens ab. Es sei “äußerst bedauerlich”, dass es “immer noch uneinsichtige Zeitgenossen gibt, die meinen, ihr ‘Glück’ ausgerechnet in öffentlichen Bedürfnisanstalten suchen zu müssen.” Beim Münchner CSD kommt es schließlich zu einem Polizeieinsatz wegen Verstoßes gegen die Verkehrsordnung. Hinsichtlich möglicher “Provokationen” auf dem Kölner CSD erklärt die Polizei: “Die Bandbreite” der Mittel zur Strafverfolgung “geht von der Festnahme über die Identitätsfeststellung, die Beweissicherung durch Videografieren und Fotografieren ... bis hin zum Ausschluss von Fahrzeugen und Gruppen aus dem Aufzug.” In Westfalen sehen Behörden “dringenden Handlungsbedarf” gegen den Parkplatz bei Schloss Neuhaus an der A 33. Die Autobahnpolizei “kontrolliert ständig” und “parkt auch schon mal den Streifenwagen an auffälliger Stelle”. In Berlin steht im Juli erstmals die “’Klappe’ am Preußenpark im Visier des Stadtrats” (Berliner Morgenpost). Fünf Monate später fordert dort der CDU-Stadtrat Alexander Straßmeir – begleitet von einer bundesweiten Pressekampagne – von den Schwulen “mehr Toleranz im Klohäuschen” gegenüber heterosexuellen Pinklern – sonst werde die Anlage geschlossen. Auf der Toilette des Spandauer Rathauses ortet die Berliner Morgenpost “Sex und Drogen”. Das Magazin Adam resümiert, “die schnelle Nummer, die zu Zeiten unzähliger Toiletten möglich war, gibt es nicht mehr.” Die Südwest Presse outet den Rastplatz Kölbling an der A 81 bei Steinheim als “Sex-Treff für Homosexuelle”: “In der Szene kursieren Berichte, wonach die Polizei ‘nicht eben zimperlich’ sein soll. In Stuttgart wird das Lokal Bistro “verstärkt Schauplatz von Polizeikontrollen” (Stuttgarter Nachrichten). In Our Munich fordert im Oktober eine anonyme Interessengemeinschaft gegen radikale Gruppierungen die Inhaber von Szene-Lokalen auf, mit Polizei und Verfassungsschutz zusammenzuarbeiten. Einen Monat später mutmaßt das Blatt, hinter den Kontrollen im Münchner Pornokino Sex-Point stecke kein “Willkürakt” der Behörden, sondern möglicherweise “Denunzianten aus den eigenen Reihen” . In der taz schreibt Jan Feddersen: “Homosexuelle und Polizei haben von jeher ein feindliches Verhältnis zueinander. Inzwischen weichen die Fronten auf.” In Köln referiert Jens Dobler vom Anti-Gewalt-Projekt des LSVD zum Thema “Vom Zwangs-Verhältnis zur Zweck-Ehe. Mehr als 100 Jahre Schwule und Polizei”. Der LSVD lobt in einer Stellungnahme zur “Nulltoleranz für Schwulenticker”: “Wir haben den Eindruck, dass in der langjährigen Zusammenarbeit zwischen Lesben- und Schwulenverband und der Polizei bereits einiges vorweggenommen wurde, was nun unter dem Etikett community policing für das gesamt-gesellschaftliche Verhältnis von Bürger und Polizei als großes Vorbild gepriesen wird.” Im Dezember wird Nürnberg von Innenminister Beckstein als “sauberste Großstadt Bayerns” ausgezeichnet, Regensburg erhält eine “besondere Anerkennung”.

2001

In einer Queer-Kolumne schreibt die neue Leiterin des Kölner LSVD-Anti-Gewalt-Projekts, Susanne Indorf: “Das Homoehe-Gesetz darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies schwulen Cruising-Gän-gern ... noch keine gesell-schaftliche Anerkennung bescheren wird.” Vielmehr sei festzustellen, dass Parkplätze und Parkanlagen “mancherorts zu Hochsicherheitszonen zu mutieren scheinen, um die Allgemeinbevölkerung vor ‘schädlichen’ Umtrieben zu schützen.” Am 19. Januar stürmt die Polizei in einer “überfallartigen Aktion” (Queer) die Schwulensaunen in Essen, Düsseldorf und Köln. Personalien vieler Gäste werden erfasst und Videos angefertigt. In Frankfurt a. M. endet ein monatelanger “Toilettenstreit” mit der Privatisierung von 58 öffentlichen WCs. Wegen der “Schäden an der Vegetation” im Berliner Tiergarten will der CDU-Stadtrat Dirk Lamprecht Teile des Parks mit einem Zaun abriegeln; sämtliche Büsche in traditionellen Cruising-Arealen werden beseitigt. In Bochum werden die letzten Klappen am Haupt-bahnhof geschlossen. Im Kölner Raum kontrolliert die Polizei zahlreiche Parkplätze und spricht Platzverweise aus, um “homosexuelle Straftaten” zu verhindern. Am 26. Februar sind die Szenekneipe Wunderbar und ein Pornokino in Hamburg Schauplatz einer Großrazzia, bei der rund 350 Menschen erkennungsdienstlich behandelt und zur “freiwilligen” Abgabe von Speichelproben für die Gen-Datei gedrängt werden. Die Polizei hat Pressevertreter geladen, den Einsatz zu begleiten – mindestens ein Mann wird geoutet. Die Polizei plant weitere Razzien. Beim CSD entfernt die Polizei auf Veranlassung des CSD e.V. einen als Genlabor dekorierten Wagen der Abnormals Anonymous. In Stuttgart will das Bauamt die Schwulensauna Viva wegen ihres “Bordellcharakters” schließen. Der rot-grüne Entwurf für ein neues Datenschutzgesetz erlaubt die Speicherung von Angaben über das “Sexualleben”. Am 1. Juni bringt Bayern – unterstützt von Sachsen, Thüringen und Hessen – einen Gesetzentwurf “Zur Erweiterung des Einsatzes der DNA-Analyse” in den Bundesrat ein, wonach künftig Daten über Täter gespeichert werden sollen, die wegen “Beleidigung” sowie “sonstigen Vergehen mit sexuellem Hintergrund” verurteilt wurden. CSU-MdBs fordern, “Exhibitionisten und Spanner” – also auch Klap-pen-gän-ger und Cruiser – sowie “Busengrap-scher und obszöne Anrufer” als potentielle Sexverbrecher zu speichern: “Hier kommt auch als Maßnahme die chemische Kastration in Betracht.” In Kooperation mit Schwulengruppen und der örtlichen Polizei werden “mit großem Erfolg Info- und Diskussionsabende in Oldenburg, Hannover, Göttingen und Braunschweig organisiert. Als Experte war jeweils André Zwiers dabei” (Box) vom LSVD Dortmund. Beim Greifs-walder CSD stellt sich ein Arbeitskreis lesbisch-schwuler Poli-zistInnen vor. In Berlin erhält das Schwule Überfalltelefon (SÜB) den “CSD-Zivilcouragepreis 2001”. SÜB-Leiter Bastian Finke: “Früher war die Polizei ... aufgrund ihrer Razzien ein rotes Tuch für viele Schwule. Mittlerweile gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der Polizei als kritischer Dialog.” In der CSD-taz mutmaßt Michael Kasiske zur “vermeintlichen Illegalität ... konspirativer Aktionsräume”: “Schwule Räume verschwinden, eben weil sie nicht mehr verboten sind.” Mit ihren Homo-Beamten habe die Polizei “der Tatsache Rechnung getragen, dass das homosexuelle Leben im Park Bestandteil gängiger Verhaltensweisen ist”. Im Hamburger Hinnerk erklärt Reinhard Saß, “Mitbegründer des Schwulen Überfalltelefons/LSVD Hamburg”, die Zusammenarbeit mit der Polizei sei “nicht als Folge der Klappenspiegelaffäre des Jahres 1980”, sondern “zum CSD 1996 zusammen mit dem damaligen SVD-Projekt ‘Schwules Überfalltelefon 19228’” entstanden.