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Stein auf Stein

"Die Steine dürfen bei einer Steinigung nicht so groß sein, daß die Person getötet wird, wenn sie von einem oder zwei davon getroffen wird, und auch nicht so klein, daß man sie nicht mehr als Stein ansehen kann.“ Im Iran ist die „Person“, für die diese Art von Staatsmord vor allem reserviert ist, oftmals weiblich. Darauf machte am 14. Januar ein Bericht der österreichischen Sektion von Amnesty International (ai) aufmerksam. Zum Tode verurteilte Männer werden in der Regel erschossen oder gehängt – für Mord und Vergewaltigung, zunehmend aber auch wegen homosexueller Handlungen. Letzteres betrifft sogar zur Tatzeit und im Extremfall zur Hinrichtungszeit noch Minderjährige. Die vierte zulässige Form des Justizmordes ist das Stürzen von einem hohen Gebäude oder Berg.

Der Iran hatte im Jahr 2002 ein Ende der Steinigungen verkündet. Dennoch seien immer wieder Fälle dieser Hinrichtungsart bekannt geworden, die vermehrt Frauen beträfen, denen Ehebruch zur Last gelegt wird. Eingegraben bis zur Hüfte (Männer) oder Brust (Frauen), wird ihre Ermordung als öffentliches Ereignis vollzogen. „Steinigungen sind besonders grausam“, zitierte die Internet-Frauenseite der Tageszeitung Der Standard Heinz Patzelt, Generalsekretär von ai-Österreich. „Die Absicht ist klar: Der Tod durch Steinigung soll langsam und qualvoll eintreten.“

Daß die Mehrheit der Gesteinigten weiblich ist, liegt laut Patzelt „daran, daß Frauen in vieler Hinsicht diskriminiert sind“. Für sie sei es schwerer, eine Scheidung zu erreichen, ihre Aussage gelte vor Gericht nur halb soviel wie die eines Mannes, Angehörige ethnischer Minderheiten verstünden oft nicht die Gerichtssprache Persisch, andere könnten weder lesen noch schreiben. Vielen fehle das Geld für einen Anwalt, weshalb Steinigungen oft ungerechte Gerichtsverhandlungen vorausgingen, zitiert dieStandard den Menschenrechtler. Und das in einem Land, in dem eine vergewaltigte Frau als Quasi-Ehebrecherin gilt.

Vor diesem Hintergrund platzte die Nachricht in die Medienressorts, am 28. Januar 2008 habe die Teheranerin Shahla Sherkat auf der Website der staatsnahen Nachrichtenagentur FARS gelesen, der von ihr geleiteten Zeitschrift Sanan sei nach 152 Ausgaben die Lizenz entzogen worden. Keine staatliche Stelle habe sie kontaktiert und über das Verbot informiert, so die Chefredakteurin. Die Kommission zur Presse-Autorisierung und -Aufsicht hatte Sanan als „schädlich für die psychische Ruhe der Gesellschaft“ eingestuft. Sie „verbreite fragwürdige Informationen“, zeichne ein „düsteres Bild der islamischen Gesellschaft“ und „gefährde die mentale Gesundheit ihrer Leser“.

Sanan (auf Farsi Frauen) war so wenig irgendein Blatt wie ihre Gründerin irgendeine Journalistin. Zehn Jahre lang gehörte die Frauenrechtlerin zur Redaktion von Zan-e Rouz (Frau von heute), dem Supplement der konservativen Zeitschrift Kayhan. Die gesellschaftliche Lage iranischer Frauen genauer widerzuspiegeln und auf deren Veränderung hinzuwirken, war ihr dort aber nicht möglich; 1992 wurde die Unbequeme entlassen.

Noch vor dem Rauswurf hatte Sherkat die Lizenz für ein Frauenmagazin beim Kulturministerium beantragt, geführt vom seinerzeit im Westen als „gemäßigt“ eingestuften Ayatollah Chatami – und sie prompt erhalten. Ein unter dem heutigen Präsidenten Mahmud Ahmadi-Nezad undenkbarer Vorgang. Dessen Amtseinführung bescherte dem Land eine Flut von Lizenzentzügen, die Hunderte Redaktionen betraf. So auch Anfang Januar 2006 Nur e Banowan: Die Frauenzeitschrift wurde noch vor ihrer Markteinführung mit Verbot belegt.

Nun also Sanan, ein Medium, das im Iran schon hinsichtlich Aufmachung und Bebilderung trotz der relativ geringen Auflage von rund 40.000 Exemplaren im Monat zu den besten gezählt wurde. Der Werbeteil wurde auf besserem Papier gedruckt als der redaktionelle; vorwiegend erschienen Anzeigen für Kosmetik- und Haushaltsartikel. Diese Zweiteilung hielt den Heftpreis niedrig, so daß Sanan erschwinglich blieb – auch für zahlreiche Männer. Sie fanden hier Themen in Wort und Bild, die der sittenstrengen Gesellschaft als unschicklich, unaussprechlich oder politisch unerwünscht gelten: von Brustkrebs bis Schönheits-Chirurgie, von Ehe und Sex bis zu alleinstehenden berufstätigen Frauen und häuslicher Gewalt. Für die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ war „das führende feministische Magazin des Landes seit seiner Gründung vor 16 Jahren ein Forum, um die kontroversesten Themen der iranischen Gesellschaft zu debattieren“. So hatte Sanan in der hundertsten Ausgabe das iranische Justizsystem in Bezug auf die Frauenrechte kritisiert und das Verhältnis islamischer Rechtsgelehrter und Intellektueller zu Frauenfrage und iranischer Frauenbewegung diskutiert – obgleich auf durchaus religiöser Basis: Die Gleichheit der Geschlechter entspreche der islamischen Lehre, jedoch werde die religiöse Literatur falsch ausgelegt und von Frauenfeinden sinnverkehrt. Die letzte verfügbare Nummer titelte mit „Frauen und Kriminalität im Iran“ und brachte das Faß zum überlaufen. Sanan habe „Artikel veröffentlicht, die das öffentliche Vertrauen in Recht und Ordnung untergraben, indem sie Menschen glauben machen, die Islamische Republik sei unsicher für Frauen”, zitierte die Nachrichtenagentur FARS einen nicht namentlich genannten Ministeriellen.

Über die legale Ermordung von Menschen im Iran, darunter sogenannter Ehebrecherinnen, wird bis auf weiteres weniger kontinuierlich berichtet werden. Eine Liste der an Iranerinnen verübten Verbrechen erschien allmonatlich in Sanan.

Eike Stedefeldt