Zu
den wenigen Landesablegern des Lesben- und Schwulenverbandes LSVD, die noch
Lebenszeichen von sich geben, gehört der in Sachsen-Anhalt. In die DDR
zurückreichende Wurzeln befähigen ihn immerhin, spezifisch ostdeutsche
Sichtweisen in die öffentliche Debatte zu werfen. So am 22./23. Oktober
bei der Tagung Lesben und Schwule in der DDR im katholischen Magdeburger
Roncalli-Haus.
Hatte Günter Grau das Publikum einer analog gestrickten Tagung 1993 noch
mit dem Satz Wir wollen ja auch wissen: Was haben die Schweine mit uns
gemacht? in Halle empfangen, bedurfte es derlei zwölf Jahre später
kaum mehr zur Einstimmung der siebzig Teilnehmer aus Ost und West. Vielleicht
lag es am sachlichen Ansatz, daß die Resonanz der lokalen Medien gegen
Null tendierte. Daß es neben manch Ärgerlichem auch viel Nachdenkenswertes
gab, erfreute Michael Heß
Die Magdeburger
Tagung stand in einer Tradition, die schon in den frühen 80er Jahren
in der DDR einsetzte, als sich unter dem Dach der evangelischen Kirche in
Sachsen-Anhalt Lesben und Schwule zu organisieren begannen. Viele der Magdeburger
Akteure lernten sich in jener Zeit kennen. Die personellen Kontinuitäten
und entsprechende Aktivitäten im heutigen LSVD-Landesverband sind folgerichtig,
aber ebenso ist nach den Perspektiven der osttypisch Sicht- und Arbeitsweise
innerhalb des längst westlich geprägten Gesamtverbandes zu fragen.
Tatsächlich schimmerte diese Fragestellung mehrfach in den Debatten durch,
ohne explizit formuliert zu werden. Möglich, daß sich hier ein
künftiger Konflikt abzeichnet, der in Mecklenburg-Vorpommern schon zur
Gründung eines zweiten Homo-Landesverbandes neben dem LSVD führte.
Eingangs
erläuterte der Ex-DDR-Bürgern bestens bekannte Sexualforscher Kurt
Starke (Zeuckritz) Ergebnisse empirischer Studien zum Sexualverhalten in DDR
und BRD seit 1980. Wie wenig die Ansichten und Verhalten gegenüber Homosexuellen
beziehungsweise deren Selbstsicht in beiden Staaten differierten, war sicher
überraschend für Zeitgenossen mit dem DDR-Bevormundungs-Klischee
im Kopf, doch deutete sich hier an, was Chris(tina) Schenk (Berlin) später
als sozio-ökonomische Modernität der DDR bezeichnete,
die gerade im Vergleich mit der Familien- und Sexualpolitik der BRD sichtbar
wurde.
Die nachfolgenden
Beiträge von Schenk, Samirah Kenawi und Marinka Körzendörfer
(beide Berlin) beleuchteten die SED-Politik mit Blick auf lesbische Lebensweisen,
stellten Thesen zur DDR-Lesbenbewegung vor und betrachteten das Verhältnis
von Lesben und Schwulen innerhalb der damaligen Bürgerrechtsbewegung.
Ergänzend referierte der ehemalige Fraktionsvorsitzende von Bündnis
90/Die Grünen im Magdeburger Landtag, Hans-Jochen Tschiche (Samswegen),
über die evangelische Kirche als Zufluchtsraum für homosexuelle
Engagierte. Die entstehende homosexuelle Bürgerrechtsbewegung war demnach
ohne kirchlichen Schutzraum undenkbar. Andererseits ist daraus nicht der Schluß
zu ziehen, daß sie sich ausschließlich unter evangelischer Ägide
bzw. ohne Konflikte innerhalb dieser formierte (die katholische Kirche spielte
bei diesen Prozessen so gut wie keine Rolle). Die Realität war auch hier
viel komplexer.
Wenig
zu gefallen vermochte der Beitrag Rainer Herrns (Berlin, Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft)
über AIDS in der DDR, dessen Forschungen belegen, daß AIDS vor
1989 auch diesseits der Elbe Thema, die Herangehensweise aber deutlich verschieden
war von der in der BRD. Über die Schlüsselbegriffe Meldepflicht
und Zurückverfolgen der Infektionskette erläuterte er
das Vorgehen staatlicher Stellen bis zum Ursprung der Infektion. Bereits im
Februar 1986 gab der Ministerrat die erste Richtlinie zum Umgang mit AIDS
heraus; 1987 lagen etwa eine Million Screenings vor. Im Oktober 1989 gab es
nur 16 diagnostizierte Fälle. Als Grund dafür machte Herrn ein Bündel
von Ursachen aus: fehlende Reisemöglichkeiten (auch für Einreisende),
geringe Kommerzialisierung der Szene, zielgerichtetes Vorgehen staatlicher
Stellen. Was fachlich einsichtig und wünschenswert erscheint, geriet
Herrn jedoch zum Kritikpunkt an der DDR, deren repressives Agieren sich hier
einmal mehr gezeigt habe. Der Widerspruch war deutlich: Was denn die Pflicht
des Staates in solchen Fällen sei, fragte eine Teilnehmerin. Herrns Replik
von der individuellen Verantwortung konnte nicht überzeugen.
Das Sahnehäubchen lieferte Professor Starke aus eigenem Erleben in staatlichen
Kommissionen, indem er den faktischen Nichtgebrauch von Kondomen vor dem Aufkommen
von AIDS der Tatsache entgegenstellte, daß die Produktion später
mit der Nachfrage kaum Schritt hielt, es also ein eindeutig geändertes
Präventionsverhalten der Bevölkerung gegeben hatte. Herrn mußte
sich aus dem Publikum auch die Frage gefallen lassen, warum er der staatlichen
Repression in der DDR nicht die Pläne in der BRD gegenüberstellte,
Infizierte in Lagern zu internieren, womit er durch Weglassung ein unstimmiges
Bild erzeuge.
Lebhafte
Diskussionen prägten die drei Workshops ersten Tagungsabend. Workshop B
widmete sich unter Leitung Eduard Stapels (Bismark) dem heutigen Wert von
Erfahrungen der schwul-lesbischen DDR-Bürgerrechtsbewegung. Die Antworten
bewegten sich zwischen Stapels Natürlich, wir machen weiter!
bis zu Körzendörfers Konsequenzen für heute? Ich bin
ratlos. Später verwies Körzendörfer auf gesellschaftliche
Strukturen, die nur ihren Namen geändert hätten, während das
Denken gegenüber Homosexuellen gleich geblieben sei. Eine zweite Differenz
betraf die in der späten DDR vorhandenen Spielräume. Stapels bekanntes
Beharren auf dem Monopol der evangelischen Kirche bleibt auszuhalten. Als
deutliche Gegenposition erläuterte Ursula Sillge (Berlin) die Existenz
gleichermaßen kirchen- wie staatsferner Strukturen anhand des Sonntagsclubs.
Interessant war das von Sillge angegebene Motiv dafür, den Club bewußt
aus dem kirchlichen Raum herausgehalten zu haben: Die Kirche sei immer auch
zweckundienliche Negation der herrschenden Verhältnisse
gewesen. Sillge meinte auch, der Masse der Engagierten sei es nicht um das
Ende der DDR, sondern sie Anerkennung des Stellenwertes von Lesben und Schwulen
im Rahmen einer besseren DDR gegangen. Der erklärte Wille
zum Dialog mit dem Staat führte zu einer begrenzten Konfliktfähigkeit
der entstehenden Bewegung an sich. Rüdiger Lautmann (Hamburg/Bremen)
entete Widerspruch mit der Einschätzung, die Bewegung sei insgesamt zu
brav gewesen, wo das gesellschaftliche Gedächtnis dem Maß
der Aufregung folge. Der Verweis auf die Andersartigkeit der DDR-Bedingungen
sowie das notwendige beträchtliche Maß an persönlichem Mut
verdeutlichten einmal mehr das Problem ost-westlicher Übersetzungsfehler.
Diese Erwiderungen zeigten erneut die Schwierigkeit, die damaligen Bedingungen
in der DDR heute verständlich aufzuzeigen.
Langen Beifall bekam Ursula Sillges Referat zu Bedingungen, Strukturen und Definitionen der lesbisch-schwulen Bewegung in der DDR. Fünfzehn Jahre Distanz erlaubten ihr das Erkennen systemübergreifender Aspekte. Sie verdeutlichte, daß es in den 80ern sehr wohl wachsende Möglichkeiten für nichtstaatliche und zugleich nichtkirchliche Strukturen wie den Berliner Sonntagsclub gab. Mehr noch, gewannen diese dermaßen an Gewicht, daß gegen Ende der DDR sogar der Jugendverband FDJ den Charme des Themas für sich entdeckte viel zu spät freilich, nicht unwidersprochen unter den Bewegten und ausgesprochen konfliktbeladen ...
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