Rente
mit 67
Nun sind Sie am Ende der
66. Ausgabe angekommen, fein. Ein ganz gewöhnliches Gigi-Heft
und genauso ungewöhnlich wie jede Gigi. Die Seiten haben
mal wieder nicht gereicht für alle geplanten und vorliegenden Beiträge.
Sie könnten auch im nächsten Heft erscheinen, aber das werden sie
nicht. Gigi geht in den Ruhestand.
Der Rentenantrag wurde
spontan gestellt und bewilligt; die Redaktion schwankt zwischen Erleichterung
und Wehmut. Erleichterung, denn Gigi war kaum mehr auszuhalten. Ein
Medium dieses Standards ehrenamtlich alle zwei Monate herauszubringen, verlangt
physische Belastbarkeit und solide private Verhältnisse. Gigi
hat zwölf Jahrgänge lang das Gegenteil zu beweisen versucht. Nun
ist es genug.
Geboren in der Ära
Rot-Grün, die als radikale neoliberale Wende in die deutsche Geschichte
eingehen wird, hat Gigi diese Ära auch durch ihre schwarz-rote
Phase begleitet. Vom Schröder-Blair-Papier 1999, dem 2003 Gerhard Schröders
Agenda 2010 folgte, bis in eben jenes Jahr 2010 hat Gigi
deren Auswirkungen auf die Sexual- und Geschlechterverhältnisse analysiert.
Ihr Gründungsjahr war dasselbe, in dem ein SPD-Kanzler und sein grüner
Außenminister die Nachkriegszeit durch einen völkerrechtswidrigen
Angriffskrieg auf Jugoslawien beendeten zynisch gerechtfertigt mit
Nie wieder Auschwitz sowie dem Schutz von Frauen vor angeblichen
Massenvergewaltigungen. Parallel wurde das Recht auf Asyl faktisch abgeschafft.
Rot-Grün markiert
auch die Abkehr einer vom Sexualstrafrecht getriebenen Kriminalpolitik vom
Tat- hin zum Täterprinzip und die Stärkung des Gesinnungsstrafrechts.
Zugleich wurde mit der nachträglichen Sicherungsverwahrung
das Nazi-Konzept der Schutzhaft reanimiert: Schröders Wegsperren,
und zwar für immer ersetzte den Resozialisierungsansatz des erst
in den 1970er Jahren demokratisierten bundesdeutschen Strafvollzugs. Hinzu
kam der Umbau zum paranoiden Überwachungs- und Kontrollstaat unter Aushebelung
von Grundrechten wie der Meinungs-, Kunst-, Presse- und Informationsfreiheit,
des Briefgeheimnisses, der Unverletzlichkeit der Wohnung, des Schutzes der
Privat- und Intimsphäre. Und stets mußte bei all dem auch nonkonforme
Sexualität als massentaugliche Legitimation für die größten
politischen Schweinereien herhalten.
Schließlich kennzeichnet
diese Periode die Umarmung und Quasi-Verstaatlichung sozialer Bewegungen wie
die der Frauen und der Homosexuellen und ihre nur zu willige Selbsteinbindung
in den konservativen Wertekanon und tradierte Lebenskonzepte: Das Militär
wurde für Frauen und Schwule geöffnet und für Homosexuelle
ein Sondergesetz beschlossen, das eine diskriminierende Sonderbehandlung ihrer
Partnerschaften, also ihrer selbst festschrieb, das sie politisch diszipliniert
und sozial wie sexuell domestiziert. Gigi war ausdrücklich gegen
diese sich ab Mitte der 1990er Jahre abzeichnende Bedrohung als politische
Zeitschrift aus der siechen Lesben- und Schwulenbewegung heraus gegründet
worden. Sie war Widerstand und Selbstverteidigung und nahm sich die Freiheit,
sich thematisch keinem Tabu zu beugen.
Bar solider finanzieller
Ressourcen und zunächst ohne verlegerisches Know-how gegründet,
bis zuletzt mit technischer Minimalausstattung, war sie ein Projekt gehobener
Selbstausbeutung; da ließ zur Erhöhung der Abozahlen, zu sehen
auf dieser Seite, der Layouter für Werbe-Banner schon mal persönlich
die Hose runter. Wie sich eben eine Redaktion behilft, deren Mitglieder in
der Mehrzahl südlich der amtlichen Armutsgrenze lebten oder leben. Sei
es wegen Behinderung, chronischer Krankheit, Erwerbslosigkeit. Von der Politik
verachtet, von Ämtern gejagt. Klassisches Prekariat.
Aus dieser Perspektive
sieht man manches schärfer wütend mitunter. In Zeiten, wo
die Homo-Presse Jugend und Kommerz feiert und alle hofiert, die dabei sein
dürfen, weil sie Geld haben oder irgendeinen Marktwert, verhandelte Gigi
Sexualität als ökonomisches Verhältnis, den Körper als
Ware, schwulen Rassismus, lesbische Armut, queeren Nationalismus
und Biologismus und das heimliche Überleben des §175. Ihre Waffen
waren Ironie, Sarkasmus, Garstigkeit und Biß. Weil der Gegner spüren
sollte, daß sich noch jemand wehrt.
Welches Blatt aus unserem
Spektrum wird das ab jetzt tun: sich wehren? Es gibt nichts Vergleichbares.
Gigi ist keine Zeitschrift für eine Nacht, antwortete
Lizzie Pricken vor zwei Jahren einer Journalistin auf die Frage, was Gigi
von anderen Szeneblättern trennt. Stimmt, aber es war auch diese besondere
Freude, der unbezahlbare Spaß, den politischen Gegner richtig zu ärgern.
Allein das war den Dauerstreß wert.
Trotzdem, irgendwann ist
Schluß. Ich kann mir ein Leben ohne Gigi vorstellen,
meinte kürzlich Dirk Ruder. Warum auch nicht, nach 66 Heften? Jedes ein
Kraftakt, ein pralles Archiv der Sexualpolitik, nach dessen Lektüre niemand
mehr sagen kann, er habe von nichts gewußt. Der deutschen Homo-Presse
hat Gigi den Maßstab geliefert, an dem sie sich bis auf weiteres
wird messen lassen müssen. Nicht zuletzt hat Gigi bewiesen, daß
ein Journal auf diesem Niveau ohne rote Zahlen möglich ist.
Bliebe noch, allen Gigi-AutorInnen
zu danken, der Druckerei Schmohl, Buchläden, Inserenten und den Abonnenten.
Ihnen sei gesagt: Die Restguthaben aus nicht ohnehin mit dieser Nummer auslaufenden
Abos werden peu-à-peu in den nächsten Monaten erstattet, sofern
uns Ihre Bankverbindung vorliegt; falls nicht, bitten wir um deren Übermittlung.
So lange der Vorrat reicht bedienen wir Ihr Abo auf Wunsch auch rückwirkend,
also mit vor dem Zeitpunkt Ihrer Bestellung erschienenen Heften. Wenn Sie
dies bevorzugen, geben Sie es uns bitte bis zum 15. März 2010 bescheid;
einzelne Restauflagen sind schon knapp und Jahrgänge der Kultzeitschrift
Gigi werden bereits auf Internetauktionen gehandelt. Noch können
Sie auch aus unserer Räumaktion 30 Hefte für 40 Euro
bestellen, allerdings nur im Inland. Wir verrechnen den Betrag dann mit Ihrem
Abo-Restguthaben.
Irgendwer nannte Gigi
einmal die Königin der Identitätskritik. Die liegt nun
auf der Bahre und keine Sally Bowles ist da, die singt: But when I saw
her laid out like a queen / she was the happiest corpse Ive ever seen.
Oder vielleicht doch? Life is a cabaret, old chum.
Eike Stedefeldt