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Opferlotto


Auf der 2. Maneo-Werkstatt am 12. Mai im Rathaus Schöneberg warnte Bastian Finke, Leiter des Berliner Antigewaltprojekts, mal wieder vorm muslimischen Terror gegen Schwule. Viele hätten bisher die Augen vor einer „bestimmten Tätergruppe“ verschlossen. Zwar wolle sich niemand gemein machen mit der von „Unverbesserlichen“ verbreiteten Parole, die Ausländer seien schuld, jedoch: „Das liberale Nebeneinander – hier die Schwulen, da die Migranten – ist mittlerweile Geschichte.“ Lesben und Schwule müßten nun selbst „das Problem in die Hand nehmen“. Mythen der aktuellen Debatte über Gut und Böse demontiert Dirk Ruder

Höhepunkt des Workshops war die Präsentation einer von Maneo mit Fördermitteln der Deutschen Klassenlotterie Berlin realisierten Online-Studie. Zwar fiel die Pressekonferenz aus, weil keine Journalisten erschienen, aber Maneo hatte vorgesorgt, damit die Botschaft nicht untergeht. „Gewalt gegen Schwule ist alltäglich“, titelte tags drauf der Tagesspiegel unter Berufung auf eine (im Vortext dieses Artikels und im folgenden ausführlich zitierte) Pressemitteilung: „Schwule Männer in Deutschland sind häufiger Opfer von Gewalt als bislang angenommen.“ Ein Drittel der rund 24.000 bundesweit Befragten sei Gewaltopfer geworden, „dreimal so viele wie bisher angenommen“. Maneo-Leiter Finke wurde mit den Worten wiedergegeben: „Die Zahlen übertreffen unsere Erwartungen ... Wir haben nun das Wissen, daß Gewalt gegen Schwule in großem Maße in Deutschland vorkommt“. An anderer Stelle erklärte Finke, mit der im Dezember 2006 und Januar 2007 durchgeführten Studie empfehle sich Maneo „als ein Projekt, das bemüht ist, wissenschaftliche Forschungen auf diesem Gebiet voranzubringen.“

Dieses Bemühen beobachten Interessierte seit Jahren, denn Maneo hat noch keine einzige wissenschaftliche Studie vorgelegt, geschweige den Statistiken, die auch nur annähernd wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Allerdings gehört die Selbstpreisung von jeher zur Existenzsicherung von Projekten wie Maneo, und ans Stochern im Ungefähren hat sich die Homoszene offenbar gewöhnt. Wer bisher welche Zahlen annahm (!) und was Maneo unter „Gewalt“ versteht, ließ deshalb auch Finkes dem Tagesspiegel-Bericht zugrundeliegende Pressemitteilung unklar: „Es ist selbst für Experten in strafrechtlichen Fragen nicht einfach, einen Tatbestand einer Gewalttat eindeutig einer bestimmten juristisch relevanten Gewaltform zuzuordnen. Der juristische Unterschied beispielsweise zwischen einer Bedrohung, einer Belästigung oder Beleidigung ist erst recht für den Laien kaum nachvollziehbar“, heißt es dort etwa. Strafrechtsexperten ordnen Bedrohung, Belästigung und Beleidigung eben nicht als Formen von Gewalt ein, in der polizeilichen Kriminalstatistik fehlen sie daher als Deliktarten. Maneo faßt dagegen den Gewaltbegriff derart weit, daß man auch das CSD-Bühnenprogramm darunter fassen und Finke nächstes Jahr wie bei der Präsentation der Online-Studie todernst raunen könnte: „Man kann als junger Schwuler in Deutschland offenbar nicht in Ruhe aufwachsen.“

„Vorläufige Ergebnisse“

Tatsächlich kann erneut kein Anstieg homophober Gewalt vermeldet werden, so sehr sich Maneo darum müht. Belegen läßt sich das am von Finke verfaßten, vermutlich drei Wochen nach der Maneo-Werkstatt veröffentlichten regulären Jahresreport für 2006. Dem ist zu entnehmen: Von insgesamt 314 Fallmeldungen in Berlin stufte Maneo 197 Fälle (63%) eindeutig als solche antischwuler Gewalt (ASG) ein. Im Vorjahr wies Maneo von 296 Meldungen ebenfalls exakt 197 als ASG-Fälle aus (67%). Mit anderen Worten: Während trotz großzügiger Gewalt-Definition die Zahl der ASG-Fälle in beiden Jahren real gleich hoch blieb und bezogen auf die Gesamtzahl aller erfaßten Fälle prozentual gesunken ist, erweckt Maneo weiterhin den Eindruck einer Zunahme. Hatte Finke bei der Präsentation schon verkündet, „die Ergebnisse der (Online-)Studie sind schlecht ausgefallen“, heißt es schließlich im Jahresreport unter dem irritierenden Punkt „Vorläufige Auswertungsergebnisse“ (die Zahlen des abgeschlossenen Zeitraums 2006 könnten sich also noch ändern?) auf Seite 13: „Im Vergleich zu 2005 ist die Anzahl der von uns erfaßten Fälle weiter gestiegen“. Den Betrug zu durchschauen, muß man schon sehr genau hingucken und mitrechnen.

Die Online-Studie war bis Redaktionsschluß nicht verfügbar. Aber auch zum Jahresbericht nimmt Maneo keine Erläuterung seiner Zahlen vor. Der diesmal nur 14seitige Bericht (2006 waren es noch 20) kreist mit Stichworten wie „Mitarbeiter“, „Qualitätssicherung“, „Reflexion“ und „Finanzen“ hauptsächlich um das Projekt selbst. Erst auf den letzten beiden Seiten werden fünf Schaubilder zu den gemeldeten Gewaltfällen dokumentiert, ehe der Bericht ohne Schlußwort abrupt endet. Geht er eigentlich noch weiter und ist nur der früher die Täterstatistiken entaltende Teil wegen anhaltender Kritik aus der Szene nicht mehr für die Öffentlichkeit bestimmt? Dabei betonte doch Maneo stets, die Opfer- und Täterstatistiken dienten als Basis für Präventionsmaßnahmen. Was wird jetzt aus denen? Der Jahresreport 2006 läßt keinerlei Schlüsse für die Präventionsarbeit ersehen. Mehr noch: Ihm läßt sich übehaupt nichts Konkretes mehr entnehmen, nicht mal das Datum seiner Veröffentlichung. Maneo betreibt mit den Reports seit Jahren in eine Art schwules Opferlotto, bei dem Lottofee Finke stets dieselben Zusatzzahlen zieht.

Zusatzzahl: 16 plus x

Weil das auf Dauer unspannend ist, mußte Finke in seiner Presseerklärung zur Maneo-Werkstatt im Mai wieder verstärkt auf Stimmungsmache setzen. Dabei gab die Online-Studie durchaus Interessantes und Neues her: „Um die Tätergruppen stärker einzugrenzen, wurden die Befragten gebeten, eine ... Differenzierung vorzunehmen. Unter vorgegebenen Antworten wurde am häufigsten (49 Prozent) die Kategorie ‘nicht weiter auffällig’ angekreuzt. Weitere Nennungen waren ‘rechtsradikale Deutsche’ (7 Prozent) und ‘Fußballhooligans’ (2 Prozent). In einem offenen Feld haben dann 16 Prozent als Täter Personen ‘nichtdeutsche Herkunft’ vermerkt.“ Daß die gewalttätige Hooliganszene klar dem rechten Spektrum zuzurechnen ist, bedeutet, daß nach Angaben der Opfer fast zehn Prozent der Taten rechtsradikal motiviert wären. Diese Feststellung ist brisant und sollte Anlaß zum Handeln geben, zumal schon vor Jahren eine vom LSVD veranlaßte Studie ergab, daß vom Vernichtungswillen getriebene rechtsradikale Gewalttäter ihre Opfer wesentlich brutaler mißhandeln, als andere Täter oder Tätergruppen.(1)

„Unseriöse Schwachsinnstudie“

Recht eigenartig wirkt es, wenn der Maneo-Chef sich angesichts dessen müht, ausgerechnet den Anteil nur vermuteter ‘nichtdeutscher’ Täter nach oben zu deuten: „Ohne, daß wir danach gefragt haben, haben uns 16 Prozent von Tätern nichtdeutscher Herkunft berichtet. Hätten wir nach dieser Tätergruppe gefragt, hätten wir noch mehr Nennungen gehabt.“ Mit Hätte-hätte kann man vieles zurechtbiegen. Das Thema „Migranten als Täter“ sei angstbesetzt, so Finke. „Man muß in diesem Zusammenhang feststellen, daß nicht die Schwulen, die die Rückmeldung ‘nichtdeutscher Täter’ gegeben haben, das Problem sind oder diejenigen, die diese Studie initiiert haben. Sondern die Täter, die Schwule zu Opfern machen ... Lassen Sie mich deutlich sagen: Der Respekt vor der Würde des Menschen ist nicht verhandelbar. Wir wollen hier mit allen in Frieden leben, egal welcher Herkunft“. Man beachte: Finke zielt mit dem Herkunftsverweis ausdrücklich nicht auf deutsche Täter. Zu gesellschaftlichen outlaws möchte er ausschließlich Ausländer und Migranten erklärt wissen: „Wer ... die Würde von Homosexuellen nicht anerkennt, der stellt sich selbst ins Abseits. Er steht damit außerhalb des Grundgesetzes und unserer Gesellschaft. Und damit ist klar: Dieses Verhalten muß sich ändern oder mit der vollen Härte des Gesetzes sanktioniert werden.“ Bei der Bekämpfung homophober Gewalt müßten „den Worten auch Taten folgen.“

Hatte bislang nur das wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk) das Maneo-Lotto regelmäßig und öffentlich vernehmbar als unwissenschaftlich und rassistisch charakterisiert, regt sich in diesem Jahr erstmals auch außerhalb des whk Kritik. So stellt Norbert Blech, Ex-Mitarbeiter des nicht im Verdacht linker Gesellschaftsanalysen stehenden Organs Queer.de, die Arbeit von Maneo zwar nicht grundsätzlich in Frage, kommentiert aber den „Maneo-Unsinn“ am 18. März in seinem Blog so: „Hier (in den Gewaltreports – Gigi) wird alles zusammengewürfelt, was irgendwie zum Thema Gewalt paßt: einzelne Beleidigungen sind für Maneo & Co genausoviel Gewalt wie eine schwere Körperverletzung. Auch von Strichern begangene Delikte kommen vor, ebenso wie Gewalttaten gegen Schwule, die nichts mit deren sexueller Orientierung zu tun haben, etwa Raubüberfälle auf offener Straße.“

Entnervt fragt Blech: „Wie soll man mit diesem Statistik-Mischmasch ernsthaft etwas anfangen? ... Soll ich ernsthaft zur Polizei gehen, nur weil mich im Vorbeigehen jemand Unbekanntes als ‘schwule Sau’ bezeichnet hat?“ Es könne, so Blech, doch nicht schwer sein, einen Fragebogen zu entwickeln, „der differenzierte Rückschlüsse auf tatsächliche, körperliche und homophobe Gewalttaten zuläßt“. Erst dann ließe es sich, „über bestimmte Tätergruppen und über die Ursachen für deren Handeln ernsthaft unterhalten. Denn das ist das nervigste an all den Studien der letzten Jahre: wie pauschal jedem Ausländer unterstellt wird, ein potentieller homophober Gewalttäter zu sein. Wie sehr dieses Die-gegen-Wir-Denken, das nicht nach Ursachen für Gewalt fragt, auf die Szene übergegriffen hat, verdeutlicht die Studie indessen schon: 16 Prozent der Opfer gaben an, von vermeintlichen Ausländern „Gewalt” erfahren zu haben.“(2)

F*cking Queer, das Blog für sexuelle Desintegration, spricht gar von einer „Schwachsinnsstudie“, über die „jetzt in einigen Medien berichtet wird und doch so unseriös ist wie nichts!“(3) Den regelmäßig von Maneo beklagten angeblich hohen Ausländeranteil bei den Tätern entkräftet der Blogger mit simpler Mathematik. „Gewalttaten gehen vor allem von Gruppen 15- bis 25-jähriger Männer aus ... Doch es ist genau diese Kohorte (Jahrgänge in der Bevölkerung – Gigi), in der Migrant_innen überproportional vertreten sind. In einem traditionellen Schwulenkiez wie Kreuzberg könnte der Anteil junger Migrant_innen in ihrer Altersgruppe sogar an die 40% betragen. Selbst wenn die Täter hier zu 30% Menschen mit Migrationshintergrund wären, müßte der Befund lauten: Migranten sind bei Gewalttaten gegen Schwule eindeutig unterrepräsentiert.“(4) – Von Zahlenlogik ließ sich Finkes Opferlotterie allerdings noch nie beeindrucken.

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Quellen

1) Christoph Josef Ahlers: Gewaltdelinquenz gegen sexuelle Minderheiten. In: Haßverbrechen, Köln 2000
2) www.norbertblech.de/blog/?p=166
3) www.fqueer.blogsport.de/2007/05/24/maneo-unsinn/
4) www.fqueer.blogsport.de/2007/05/24/joerg-fischer-vom-nazi-zum-buergerrassisten/