Bayerisches Oberstes 
    Landesgericht: Haftbefehle gegen Mitglieder der Pädo-Selbsthilfegruppe 
    München schon bei Erlaß rechtswidrig
    
Im Herbst 2003 sorgte 
    eine mit dem Magazin Stern und dem ZDF abgestimmte Polizeiaktion in 
    München bundesweit für Schlagzeilen. In der Nacht zum 31. Oktober 
    2003 stürmten mit Maschinenpistolen bewaffnete Einheiten mehrerer Sondereinsatzkommandos 
    die Wohnungen von 16 Mitgliedern der seit 24 Jahren bestehenden Pädo-Selbsthilfe- 
    und Emanzipationsgruppe München. Zwölf Personen wurden zum Teil 
    für mehrere Monate in Untersuchungshaft genommen. Ihnen wurde die Bildung 
    einer kriminellen Vereinigung zur Verbreitung kinderpornographischer Schriften 
    und zur Begehung sexuellen Mißbrauchs von Kindern zur Last gelegt. Viele 
    Medien berichteten seinerzeit im Zusammenhang mit pädophilen Selbsthilfegruppen 
    von einem kriminellen Pädophilen-Ring.
    
Mit Beschluß vom 
    29. März 2006 erklärte das Bayerische Oberste Landesgericht dies 
    nun zur Falschmeldung. Auf die Haftbeschwerde eines Betroffenen hin entschied 
    das Gericht, der Haftbefehl des Amtsgerichts München vom 12. 11. 2003 
    gegen den Beschwerdeführer wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung 
    ist mangels dringenden Tatverdachts bereits bei Erlaß rechtswidrig gewesen. 
    Die im Beschluß des Senats vom 18. 10. 2004 angeführten 
    mangelnden Voraussetzungen für die Annahme dringenden Tatverdachts der 
    Mitgliedschaft oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung lagen 
    bereits bei Erlaß des Haftbefehls vor.
    
Das Gericht hatte schon 
    am 18. Oktober 2004 festgestellt, zum Zeitpunkt der Haftbeschwerde 
    im Februar 2004 liege durch die falsche Behauptung eines tatsächlich 
    nicht vorhandenen Tatverdachts durch die Ermittlungsbehörden und durch 
    das den Haftbefehl erlassende Gericht ein Verstoß gegen das Willkürverbot 
    vor. [...] Die Ermittlungsbehörden hätten willkürlich den Verdacht 
    auf eine Katalogstraftat behauptet, um in rechtswidriger Weise die Telefongespräche 
    des Beschwerdeführers abhören zu können. Das Gericht hat diese 
    Behauptung ungeprüft übernommen (Quelle: BVerfG). Erst durch 
    eine Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht hatte der Beschwerdeführer 
    erwirken können, daß das Bayerische Oberste Landesgericht die Rechtswidrigkeit 
    des Haftbefehls bereits zum Zeitpunkt des Erlasses feststellte. 
    Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts hat grundsätzliche Bedeutung. 
    Er räumt von staatlicher Gewalt betroffenen Bürgern nämlich 
    Rechtsschutz auch bei schwerwiegenden, tatsächlich aber nicht mehr 
    fortwirkenden Grundrechtseingriffen ein. Somit können zu Unrecht 
    Inhaftierte auch dann Rechtsschutz begehren, wenn ein Haftbefehl gegen sie 
    zwischenzeitlich aufgehoben wurde. Damit wird die beliebte Praxis von Staatsanwaltschaften 
    erschwert, Haftbefehle vor absehbaren unliebsamen Gerichtsentscheidungen aufzuheben, 
    um rechtswidrige Maßnahmen nicht mehr feststellbar zu machen.
    
In der bundesweiten Berichterstattung 
    wurden Pädophilen-Selbsthilfegruppen in Anlehnung an Drogendelikte seither 
    als Pädophilen-Ringe bezeichnet, die sich heimlich träfen, 
    um Straftaten zu verabreden oder zu begehen. Das Bayerische Oberste Landesgericht 
    stellte im völligen Gegensatz dazu jedoch aus den Abhörprotokollen 
    fest, daß gerade darauf geachtet wurde, in der Gruppe nichts Strafbares 
    aufkommen zu lassen. Die Gruppen treffen sich öffentlich und setzen 
    aus Furcht vor gefälschter Sensationsberichterstattung durch Skandalreporter 
    (siehe RTL II und seine Sexgeschäfte, Gigi Nr. 29) 
    ein Gespräch voraus. Diese Sicherheitsmaßnahmen dienten der bayerischen 
    Justiz unter anderem zur Konstruktion des Tatvorwurfs der Bildung einer kriminellen 
    Vereinigung. Dazu hält das Gericht in seinem Beschluß fest: Daß 
    die Mitglieder der Selbsthilfegruppe auf Geheimhaltung bedacht waren und sich 
    jedenfalls im äußeren Kreis nicht mit Klarnamen vorstellten, weist 
    ersichtlich lediglich auf die Furcht vor Entdeckung als sexuell abartig hin.
    
Unterdessen verdichten 
    sich die Indizien darauf, daß der Stern-Reporter Manfred Karremann, 
    der verdeckt in der Pädo-Selbsthilfe- und Emanzipationsgruppe München 
    recherchiert hatte, auch als Polizeispitzel in Erscheinung trat. Dabei sollen 
    sich die Münchner Justizbehörden maßgeblich auf seine Informationen 
    bezogen haben, um den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung zu 
    konstruieren. Ebenso erhärtet sich der Verdacht, daß sich Karremann 
    während seiner Recherchen selbst der Besitzverschaffung kinderpornographischer 
    Schriften strafbar gemacht hat. Nach derzeitiger Erkenntnislage ist er von 
    der bayerischen Justiz dafür allerdings noch nicht belangt worden.
    
Sebastian 
    Anders