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Frau Mouskouri!


Ich muß mal ein ernstes Wörtchen mit Ihnen reden. Und zwar über Ihre Memoiren „Stimme der Sehnsucht“, die sie unlängst in Berlin auf Deutsch präsentierten. Sie saßen auf der Bühne des Admiralspalastes und taten mir unheimlich leid. Ich hatte bis dahin nur die ersten Kapitel gelesen: über Ihre schwere Kindheit als Tochter einer von Korfu stammenden Platzanweiserin und eines Athener Filmvorführers. Daß Ihre Familie bitterarm war, Ihr spielsüchtiger Vater das letzte Geld durchbrachte, ihre Eltern einander vor den Augen der Töchter schlugen, Ihr Vater Sie spüren ließ, daß ihm ein Sohn lieber gewesen wäre und Sie sich, auch noch pummlig, „als mißratenes Mädchen oder als verhinderter Junge“ selbst verachteten. Vor allem aber hatte ich erfahren, welche Alpträume Ihnen bis heute die Eindrücke der deutschen Besatzung Griechenlands verursachen. Nicht nur, daß Sie lange keine Schule besuchen konnten, das Leben schwerer wurde, weil Ihr Vater im Widerstand war, die Mutter das letzte Hab und Gut verkaufen mußte für eine Schale Kichererbsen, daß die kleine Nana im Luftschutzkeller vor Angst zu singen begann: Sechsjährig mußten Sie mit ansehen, wie Wehrmachtslandser junge Griechen ermordeten.

Wer das eben erst gelesen hat, erträgt es schwer, Sie zwischen diesem eitlen Verleger Schwarzkopf und einer stocksteifen Lektorin zu sehen, die Ihnen im Wechsel auswendig gelernte Stichworte in Frageform zuwerfen und Sie dann auch noch belügen: Nein, Frau Mouskouri, Ulrike Lelickens Übersetzung aus dem Französischen ist alles andere als „hervorragend“. Es ist ein editorisches Desaster, wenn auf 470 Seiten konsequent „würde“ steht, wo es „sollte“ heißen muß. „Früher“ und „zuvor“ haben ebenso unterschiedliche Bedeutungen wie „wäre“ und „war“, und das „nicht“ in der Sentenz „er würde keine Ruhe finden, bevor wir das Lied nicht fertig hatten“, stellt den Inhalt auf den Kopf. Der Marineoffizier, der Sie Englisch lehrte, litt ebenfalls nicht an „zunehmender Blindheit“, weil’s blinder als blind nun mal nicht geht, sondern an fortschreitender Erblindung. Soviel dazu.

Inzwischen habe ich Ihre Memoiren ausgelesen. Vieles hat mein Herz berührt: Die Demütigungen wegen Ihrer 30 Kilo Übergewicht am Karrierebeginn, weil Sie Brille trugen, nicht blond waren und schlicht gekleidet. Die Fehlgeburt während des Grand Prix d’Eurovision 1963 in Portugal, die durchlittenen Konzerte, wenn Todesnachrichten eingetroffen waren. Mit Anstand bekennen Sie die Rivalität mit Melina Mercouri, die dann in Freundschaft mündete.

Aber: „Über Lust oder Sex zu sprechen, das wäre zu viel für mich. Da bin ich gehemmt“, sagten Sie 2007 dem französischen Journal Platine. „Und zwar sehr: Kürzlich fragte mich in Griechenland eine junge Journalistin: ‘Wie war es denn beim ersten Mal?’ Und mir ging auf, daß mir noch nie jemand diese Frage gestellt hatte, und daß ich nicht einmal selbst mich das gefragt hatte!“

Es steht Ihrem Buch gut an, auf so intime Details verzichtet zu haben. Allerdings: Warum schreiben Sie dann über die sexuellen Vorlieben Ihres Mentors, des großen Komponisten Manos Hadjidakis? Er habe einst im Scherz gesagt, behaupten Sie, wer Melina Mercouri gesehen habe, können keine andere Frau mehr anschauen, weshalb er sich jungen Männern zugewandt habe. Frau Mouskouri, das dumme Kind bestraft sich bekanntlich selbst. So auch Sie, indem Sie auf Seite 366 kolportieren: „Eines Tages hatte Manos Hadjidakis Nikos“ (Gatsos, Ihrem Textdichter) „anvertraut, daß, wenn er mich singen hörte, er das Gefühl hatte, einer Frau beim Ausziehen zuzusehen.“ Meine Liebe, Sie sollten dieses Kompliment nochmals überdenken: Einer Frau beim Ausziehen zuzusehen ist für Schwule nicht sehr erhebend.

Weiter vorn in diesem Heft nennt sie jemand die „dümmste Sängerin der Welt“. Ich kenne zu wenige Sängerinnen, doch mußte ich oft an das böse Urteil denken, etwa, als ich Ihre Erinnerungen an das Westberlin von 1960 las: „Beim Anblick dieser Kriegsspuren wurde mir langsam das Leid, das die Deutschen durchgemacht haben mußten, bewußt. Als Opfer der Nazi-Herrschaft hatte ich wie so viele andere Europäer nie wirklich über den Schmerz des deutschen Volkes nachgedacht.“ Desselben Volkes, Frau Mouskouri, dessen Ja zum Totalen Krieg 160.000 Ihrer Landsleute das Leben kostete!

Am 14. Juli 1982 standen Sie, in französischer Uniform, im Kalten Krieg: „Natürlich sagte ich zu. Das war sogar die einzige Art zu protestieren, Krieg zu führen, die meine Zustimmung fand. Vor der Mauer, die die Ostberliner einsperrte, vor dieser Mauer, an der so viele freiheitsliebende Deutsche den Tod gefunden hatten, an diesem Ort von der Freiheit zu singen, damit war ich einverstanden.“ Und als die Mauer fiel? „Ich habe mich gefühlt wie als Kind nach dem Krieg oder wie 1974, als in Griechenland nach acht Jahren Diktatur wieder die Demokratie einkehrte.“ Sie wagen es, die DDR, die mir all das gab, was Sie als Kind entbehren mußten, die nie ein fremdes Land angriff, mit Nazideutschland zu vergleichen, durch das an jedem Tag der Besatzung 2.000 Griechen umkamen? Und mit der Athener Junta, die 1967 allein im ersten Monat nach dem Putsch 8.000 Menschen ermorden ließ?

„Als ich den Song anstimmte, war es wie eine Explosion, ich fühlte jeden einzelnen Menschen in diesem Saal weinen“, säuseln Sie über das „Lied der Freiheit“, für das Sie die Melodie des Gefangenen-Chors aus „Nabucco“ in Schmalz badeten und das Sie 1987 angeblich im Berliner Friedrichstadtpalast sangen. Ich war dabei, Frau Mouskouri: Es war das Metropol-Theater, keiner sang mit, man lauschte andächtig, eine Träne der Rührung hier und da vielleicht, mehr nicht. Was mir dazu einfällt? Daß ich damals einen Ihrer Schlager besonders liebte: „Mein Leben ist wie ein Roman/Da gibt es viele schöne Stunden/Wo ich heut nicht mehr sagen kann/Sind sie nun wahr oder erfunden.“

Erfunden, Frau Mouskouri, erfunden.

Pia F.