The Arrival Of Mr. Death
Sexualität und Tod im Keller Das Kölner Völkerkundemuseum
zeigt in einer Sonderschau afrikanische Kunst gegen AIDS. Die Ausstellung
näher angesehen hat sich Dirk Ruder
Noch
bis Ende Januar zeigt das Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum die Ausstellung
Sexualität und Tod. Der etwas reißerische Titel mag
der Versuch sein, Publikum in die im Keller versteckte Sonderschau des ohnehin
schon abseits vom Stadtzentrum gelegenen Völkerkundemuseums zu locken.
AIDS in der zeitgenössischen afrikanischen Kunst ist das Thema, und man
sollte den Weg in die Kölner Südstadt nicht scheuen.
Die relativ kleine Exposition präsentiert Leihgaben von zwanzig renommierten
afrikanischen oder afrikanischstämmigen Künstlern: Ölgemälde
von Richard Onyango (Kenia), Chéri Samba, Moke und Bodo (Kongo), Fotografien
von Ricardo Rangel (Mosambik) und Sue Williamson (Südafrika) sowie bildende
Kunst von Zephania Tshuma (Zimbabwe), Abdoulaye Kanaté (Mali), Pascale
Marthine Tayou (Kamerun) und Taiwo Olaniyi aus Nigeria, besser bekannt unter
dem Namen Twins Seven Seven. Das räumliche Zentrum bildet ein schwarzer
Raum mit der Projektion Censored Room. Es schadet nicht, sich
für das ruhige Video der deutsch-kenianischen Performancekünstlerin
Ingrid Mwangi ein wenig Zeit zunehmen, weil das minutenlange Innehalten im
Halbdunkel die Sinne für die Ausstellung öffnet.
In vielen Ländern Afrikas gibt es weder eine (schulische) Sexualaufklärung
noch staatliche Präventionsprogramme. Weil das Geld oder der Wille fehlen,
fällt der Gegenwartskunst eine wichtige Bildungsaufgabe zu. Der Bedarf
ist unübersehbar: Siebzig Prozent der weltweit mit HIV infizierten Menschen
leben heute auf dem Schwarzen Kontinent, das sind derzeit rund 25 Millionen
Menschen. Obwohl Afrika nur ein Zehntel der Weltbevölkerung stellt, finden
sich dort neun von zehn neuen Infizierten. Wo Sex im Kontext von Hunger und
Analphabetismus die einzige Möglichkeit ist, der elenden Lebenssituation
wenigstens für Augenblicke zu entkommen, bedarf Propaganda klarer Sprache
und eingängiger Bilder. Mit Sprechblasen und überhöhter Symbolik
bedienen sich denn auch fast alle präsentierten Gemälde der Stilmittel
populärer Comics.
So zeigen Moke und Bodo, welches Gesundheitsrisiko das dirty business
der Armutsprostitution bedeuten kann, auch der manque de fidelité,
die sexuelle Untreue, wird visualisiert. Gelegentlich erscheint die
nach landläufiger afrikanischer Überzeugung aus den Industriestaaten
eingeschleppte Krankheit in christlichem Gewand. Mal bespringt sie
potentielle Opfer in Gestalt kleiner Teufelswesen, mal reitet sie in der Tracht
katholischer Missionare ins Dorf ein wie auf dem Bild The arrival of
Mr. Death des 2003 verstorbenen Malers Trevor Mekhoba. AIDS ist in Afrika
eine mehrheitlich heterosexuell verbreitete Krankheit. Das Exponat des 1989
in London verstorbenen schwulen Fotografen Rotimi Fanti-Kayodé aus
dem Kongo deutet jedoch durchaus gleichgeschlechtliches Begehren an. Expliziter
zeigt es Bulelwa Madekurozwas Ölbild Sunday afternoon (1997)
in einer homoerotischen Soldatenszene.
Wie
schon die radikalen Plakate von US-AIDS-Hilfe-Organisationen aus den 80ern
und 90ern versteht sich auch die kontemporäre afrikanische Kunst als
politisch. Chéri Samba etwa zeigt eine Demonstration für AIDS-Aufklärung,
bei der Männer wie Frauen wütend Büstenhalter schwingen. Was
den europäischen Betrachter an trotzige feministische Befreiungsaktionen
erinnert, ist im frankophonen Teil Afrikas ein leicht verständliches
Wortspiel: Soutien bedeutet sowohl Büstenhalter als auch
Unterstützung. An sich kein Kunstwerk ist Kane Kweis Spritzen-Sarg.
Als Gebrauchsgegenstand hat der kunstvoll nach dem Beruf des Verstorbenen
gestaltete Sarg im öffentlichen Leben Ghanas durchaus seinen Platz. Es
mutet allerdings seltsam an, daß der 1992 verstorbene Kwai das wohl
für einen Arzt oder eine Krankenschwester in Auftrag gegebene Erdmöbel
erst 1997 posthum angefertigt haben soll. Zwar führen Kweis Neffen und
Söhne die Schreinerwerkstatt seit mehr als zehn Jahren fort, wahrscheinlicher
aber ist, daß den Völkerkundlern die Daten etwas durcheinandergeraten
sind.
Warum jedes westlich orientierte Präventionskonzept mit Kondomen in Afrika
zwangsläufig vor die Wand fahren muß, erläutert der Afrika-Experte
Henning Machein im Katalog. So seien afrikanische Vorstellungen zur Bedrohung
von AIDS so komplex wie die Krankheit selbst. Traditionell hochangesehene
Heiler und Seher interpretierten die Infektion als Höchststrafe für
gravierendes soziales Fehlverhalten wie etwa die Vernachlässigung der
Ahnen. Während die in den Industriestaaten als nahezu gesichert angesehene
These, das HI-Virus sei vor etwa 70 Jahren vom Affen auf den Menschen übertragen
worden, in Afrika schnell als Beschuldigung wahrgenommen werde,
hätten, so Machein, Wissenschaftler aus Schwarzafrika die Theorie aufgestellt,
AIDS sei aus den USA eingeschleppt. Zur Konstruktion des perversen Europäers
gehöre nicht zuletzt eine Abneigung gegen die Kondomisierung
Afrikas, die aus dortiger Perspektive als Kolonialisierung der
Sexualität empfunden werde. Der Gedanke an Kondome, die mit Spermien
abtötenden chemischen Substanzen beschichtet sind, erzeuge dort zudem
schon deshalb Befremden, weil Sexualität und Geschlechtsverkehr im allgemeinen
positive Konnotationen wie Leben und Fruchtbarkeit beinhalten und nicht Tod
oder Krankheit.
Was immer der Ursprung der Krankheit ist: Kapitalistische Wirtschaftsverhältnisse
trugen vermutlich lange vor der Entdeckung des Virus dazu bei, den Erreger
über Wanderarbeiter in viele afrikanische Länder zu verbreiten.
Dem voreiligen Jubel des vergangenen Sommers, als die internationale
Pharmaindustrie Südafrika die Produktion und Einfuhr von Billigpräparaten
zur AIDS-Therapie erlaubte, kann der für Sexualität und Tod
als Gastkurator tätige Tropenmediziner Kay Schaefer denn auch nicht viel
abgewinnen: Jemand, der kaum Geld zum Leben hat, kann sich ein Medikament
auch dann nicht leisten, wenn es nur ein paar Dollar kostet. Genau daran
erinnert die Ausstellung.
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Noch bis 25. Januar 2004: Sexualität und Tod AIDS in der zeitgenössischen
afrikanischen Kunst. Rautenstrauch-Joest-Museum, Ubierreing 45, Köln-Südstadt,
Di.-Fr. 10-16 Uhr, Sa./So. 11-16 Uhr, Mo. geschlossen. Eintritt: 2,50 Euro,
Katalog: 12,50 Euro.