Um
die zum Projekt gehörende Anzeigenkampagne aufzugreifen: Lieben Sie Kinder
mehr, als Ihnen lieb ist?
Ich
mag Kinder und hatte immer ein gutes Verhältnis zu ihnen. Sexuell attraktiv
sind sie für mich aber nicht.
Was
trieb Sie dann zu dieser Pressekonferenz?
Als
Junge hatte ich ein für meine schwule Entwicklung sehr wichtiges sexuelles
Verhältnis mit einem Mann, von dem ich später erfuhr, er sei ein
Päderast. Mich ärgert deshalb seit langem das undemokratische Sexualstrafrecht,
das Jungen, wie ich einer war, das Recht abspricht, eine sexuelle Beziehung
mit Älteren zu haben. Deshalb wollte ich bei Professor Beier und CDU-Generalsekretär
Siegfried Kauder, der für die Kriminalitätsopfer-Hilfe Weißer
Ring dem Projektbeirat angehört, öffentlich Widerspruch anmelden.
Wogegen
genau wollten Sie widersprechen?
Ich
wollte zum einen kritisieren, daß die Klienten auf sexuelle Abstinenz
therapiert werden sollen, anstatt ihnen zu ermöglichen, pädophile
Beziehungen zum gegenseitigen Vorteil zu entfalten. Zum anderen wollte ich
den Artikel 2 des Grundgesetzes Freie Entfaltung der Persönlichkeit
verletzenden Paragraphen 176 StGB Sexueller Mißbrauch
von Kindern angreifen.
Über
beides kann man, je nachdem, aus welcher Perspektive man es betrachtet, sehr
verschiedener Meinung sein. Wie reagierten die von Ihnen Angesprochenen?
Professor Beier zog es vor, mir gar nicht zu antworten und statt dessen
mit seinem Kieler Kollegen Hartmut Bosinski zu tuscheln, der auch im Beirat
sitzt. Offenbar hatte ich an ein Tabu gerührt, denn in Beiers Logik ist
jede sexuelle Attraktivität Erwachsener für Vorpubertäre eine
Störung oder Krankheit und somit kein Bestandteil freier Persönlichkeitsentfaltung.
Der
Jurist Siegfried Kauder trieb 2002 die Koalition im Bundestag dazu an, sexuellen
Kindesmißbrauch zum Verbrechenstatbestand heraufzustufen, was Mindeststrafen
von einem Jahr bedeutet. Jetzt gilt er als heißester Kandidat für
den Posten des Kanzleramtschefs in einer Regierung Merkel. Da könnte
schon von Interesse sein, ob und was er Ihnen geantwortet hat.
Er erklärte, den §176 nicht abschaffen zu wollen und ich sei
der einzige, der ihn für verfassungswidrig hält. Dann kündigte
er an, im Vorfeld von Sexualstraftaten übers Internet frühzeitig
eingreifen zu wollen, da gäbe es derzeit eine Petition im Bundestag.
Ich vermute, es geht um die Verfolgung sexueller Anmache von Kindern in Chatportalen
mittels Agents provocateurs. Ein toller Jurist, der Straftaten provozieren
will, die sonst gar nicht stattfinden würden!
Man
hat als etwas abseits stehender Betrachter oft den Eindruck, daß von
Kindern gewollte und als angenehm empfundene Beziehungen, bei aller Ambivalenz,
die aktuelle Ideologie durchbrechen und darum weggedrückt, wegzensiert
oder sogar weggelogen werden. Sehr wissenschaftlich mutet das nicht an.
Etwa
seit Mitte der 1980er Jahre ist, von den USA ausgehend, auch bei uns immer
stärker ein reiner Mißbrauchsdiskurs zu beobachten. Selbst die
in Deutschland etablierten sexualwissenschaftlichen Institute sind zum Teil
auf diesen Zug aufgesprungen, zum anderen Teil schweigen sie. Eine sträfliche
Vernachlässigung, die der Komplexität des Gegenstandes nicht gerecht
wird. Ergebnisoffene Forschung in diesem Bereich gibt es kaum noch. Sie wird
sogar regelrecht repressiv bekämpft.
Auch
Beiers im Ansatz vergleichsweise liberal wirkendes Projekt verharrt im Opfer-Täter-Schema.
Wurde das auf der Pressekonferenz problematisiert oder bestand unter den sonst
doch so kritischen Journalisten diesbezüglich Konsens?
Leider haben sich die Nachfragen der Journalisten als wenig kritisch erwiesen.
Das war zu erwarten. Vermutlich fehlt den allermeisten jedes Hintergrundwissen.
Darum werden auch das Mißbrauchs-Paradigma und das Opfer-Täter-Schema
überhaupt nicht mehr in Frage gestellt. So redet Professor Beier beispielsweise
regelmäßig von sexuellen Übergriffen, die er verhindern will,
ohne zu berücksichtigen, daß Sex auch Spaß machen kann
sogar einem Kind.
In
Zeiten des Doku- und Infotainment tendiert der Journalismus längst zur
inzestuösen Massenorgie, deren Teilnehmer die eigenen Informationen,
und seien sie noch so dubios und vorurteilsbehaftet, stets als glaubwürdige
Basis weiterer Beiträge nutzen. Aber vielleicht wurde ja doch einer der
Pressekonferenz-Gäste durch Ihre Fragen aus dem Schlummer gerissen ...
Ja, doch! Bei einigen hat es wohl geklingelt. Neben mir saß ein
junger Mann von dpa, der mich spontan um ein Interview bat, nachdem ich mich
als Ex-Boyfriend geoutet hatte. Zum Ende der Pressekonferenz scharten sich
um mich mindestens so viele Kollegen wie um die Herren Professoren. Ein Fernsehteam
von VOX und sogar das von Frau Uli Hesse vom Bayerischen Rundfunk haben mich
ausführlich befragt.
Und,
gab es Reaktionen auf die Ausstrahlung?
Bisher weiß ich von keiner Ausstrahlung. Seit sie alle vor drei
Wochen meine Anschrift und Telefonnummer für weitere Nachfragen notiert
hatten, habe ich nichts mehr von ihnen gehört.
Sie
meinen, die Videobänder könnten im Giftschrank gelandet sein?
Dafür sind Giftschränke doch da, oder?
Korrektur zum Interview::
Die Verwechslung zweier CDU-Bundestagsabgeordneter fiel der Redaktion erst nach Erscheinen des Beitrags auf. Zu seiner Entlastung und der des von ihm befragten Kurt Hartmann, dessen Irrtum ihm entging, bringt der Interviewer Eike Stedefeldt hiermit vor: Beide MdB stammen aus Baden-Württemberg der eine aus Bad Dürrheim, der andere aus dem 15 Kilometer entfernten Tuttlingen. Auch nach religiösem Bekenntnis (evangelisch), Alter (Jahrgänge 1950 und 1949) und Optik (von Haartracht über Brillengestell bis Halsschmuck) liegen sie nahe beieinander. Juristen und rechte Hardliner sind ebenfalls beide. Und trotzdem sind Siegfried und Volker Kauder nicht identisch. Weder ist der Erstgenannte der bekannte CDU-Generalsekretär, für den ihn Kurt Hartmann hielt, noch ist der Letztgenannte Mitglied im Weißen Ring. Aber: Die Herren Kauder sind Brüder und gewannen am 18. September 2005 erneut ihre Wahlkreise. Was weitaus folgenschwerer sein dürfte als ihre Verwechslung.