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Koalitionen auf Zeit

Über den Aufbruch palästinensischer Lesben. Von Lizzie Pricken

Rauda Morcos lebt in Israel, ist Palästinenserin und seit einem Jahr Koordinatorin der Lesbengruppe ASWAT, die als erstes Projekt versucht, eine lesbisch-feministische Perspektive innerhalb der arabischen Gesellschaft aufzubauen. Autonom von israelischen Lesben- und Schwulenprojekten soll eine eigenständige Kritik der Okkupationspolitik formuliert werden. ASWAT („Stimme“) begann vor drei Jahren als E-Mail-Liste und brachte arabische Lesben verschiedener Länder im Netz zusammen. Als deren Zahl auf 28 angewachsen war, fand ein erstes Treffen in Israel statt – es kamen immerhin zwölf, vier von ihnen aus den besetzten Gebieten. Einige fehlten: wegen der Grenzkontrollen oder weil sie Schwierigkeiten hatten, das Haus zu verlassen, ihre Eltern dagegen waren. Andere wollten gar nicht erst den virtuellen Bereich verlassen und sich nichtmal anderen Lesben zu erkennen geben.

Die Mehrzahl der ASWAT-Aktivistinnen sind Studentinnen zwischen zwanzig und dreißig. Die Initiatorin des Treffens, Rauda, ist bereits in diversen Politgruppen engagiert, so im Open-House, einem schwul-lesbischen Zentrum in Jerusalem, in der Gruppe Women-to-Women in Haifa und der Coalition of Women for Peace. Sie betrachte Israel als kein demokratisches Land, sagte die Dreißigjährige bei einem Berlin-Besuch im März; auch den meisten Israelis falle es schwer, innerhalb des Ausnahmezustandes ihr ökonomisches und sonstiges Überleben zu sichern. Und so treffen sich seit zwei Jahren die in Israel wie den besetzten Gebieten lebenden Palästinenserinnen einmal monatlich bei ASWAT. Daß der palästinensische Bevölkerungsanteil auf israelischem Gebiet 20 Prozent beträgt, bringt den Frauen eine Dreifachdiskriminierung: als Frau, Palästinenserin und besonders als Lesbe. Obwohl das Leben für Lesben und Schwule in Israel relativ gesehen freier ist als im arabischen Kulturkreis, so ist die Lage doch alles andere als rosig, vor allem außerhalb der Städte und geschützter Räume.

Ein Hauptthema ist etwa die alltägliche Gewalt gegen Frauen. Das ist auch ein Grund, warum ASWAT sich von anderen Homo-Gruppen separiert hat. Sie empfinden die Männer als zu dominant, um mit ihnen gleichberechtigt Politik zu machen. Dem steht ASWATs streng basisdemokratischer Ansatz entgegen; es gibt keine Anführerinnen, sondern lediglich Bevollmächtigte auf Zeit. Mitfrau kann daher nur werden, wer über eine bereits bekannte Frau in den Kreis eingeführt wird. Dies dient zudem dazu, viele der Frauen, die noch nicht „out“ sind, zu schützen, da sie zwar womöglich in Israel einschlägige Lokale besuchen, aber daheim in den besetzten Gebieten niemand etwas darüber erfahren darf.

Rauda Morcos ist die einzig offene Lesbe der Gruppe – nicht zuletzt, weil sie geoutet wurde. Die Dichterin und Schriftstellerin hatte einer weit verbreiteten israelischen Zeitung ein Interview gegeben, in dem es vorrangig um ihre Poesie ging. Nebenbei erwähnte sie ihre Arbeit bei ASWAT – was prompt zum Titelthema wurde. Und obgleich das Blatt von Arabern angeblich kaum gelesen wird, sickerte die Neuigkeit bis in ihr Dorf durch. Sogar jene, die die Zeitung nicht lasen, bekamen von Nachbarn Kopien zugesteckt. Rauda bezahlte den Preis der Freiheit, wurde telefonisch bedroht, mehr als zwanzig Mal wurden ihre Autoreifen aufgeschlitzt und die Frontscheibe zertrümmert – es klebte von innen eine Regenbogenfahne daran. Dem Artikel folgten aber auch Sympathiebekundungen, was ASWAT Bekanntheit brachte und das Gefühl, eine wirklich wichtige Arbeit zu leisten. Diverse Organisationen boten Unterstützung an, das Open House und Kola Isha („Stimme der Frau“), eine feministische israelische Gruppe aus Jerusalem, wollten ASWAT aufnehmen. Beth Shalom, das Friedenshaus in Tel Aviv, sowie Frauenkrisenzentrum im ganzen Land und die deutsche Heinrich-Böll-Stiftung stellten Räume zur Verfügung. Die Frauen wollten sich jedoch einer arabischen Organisation anschließen, weshalb ASWAT derzeit unter dem Dach von Keyan logiert, einer feministischen Organisation, die sich um Ausbildung und Entlohnung arabischer Frauen bemüht, darunter besonders der von Kindergärtnerinnen. Doch auch diese Koalition ist eine auf Zeit, wie Rauda Morcos betont, bis in einigen Jahren eine eigenständige Organisation aufgebaut ist. Da es aber aktuell keine eigenen Fonds oder Sponsoren gibt, wurde das Keyan-Angebot gern angenommen. Vorerst läuft die gesamte Arbeit auf ehrenamtlicher Basis, doch im Mai diesen Jahres sollen immerhin T-Shirts und Postkarten gedruckt werden, um via Öffentlichkeitsarbeit ein wenig Geld einzunehmen. Auf der Vorderseite der T-Shirts wird das ASWAT-Logo prangen und auf der Rückseite die palästinesische zusammen mit der Regenbogenflagge. – Diskret, aber doch erkennbar, für alle, die es sehen wollen.