Die
Infamie der Ägypter
Um Georg Klaudas
Studie Die Vertreibung aus dem Serail noch vor der Frankfurter
Buchmesse zu promoten, stellte der Verlag Männerschwarm im September
den kompletten Band in der Rohfassung ohne alle Korrekturen, sicher
noch mit vielen Fehlern ins Netz und sandte den Link an ausgesuchte
Empfänger. Mehr über das schwule Europa, die Heteronormalisierung
der islamischen Welt und die Foucaultsche Freundschaft als Lebensweise
erfuhr dadurch Dirk Ruder
Manchmal ist die Zeit halt etwas knapp: Die Buchmesse in Frankfurt
steht kurz vor der Tür, aber in Hamburg ist das Herbstprogramm noch nicht
ganz fertig. So schrieb Detlef Grumbach vom hanseatischen Verlag Männerschwarmskript
am 1. September an liebe FreundInnen, daß die
Türkei in diesem Herbst Gastland der Frankfurter Buchmesse sei
und man da was Interessantes in petto habe. Gerade im letzten Jahr gab
es hierzulande Debatten über schwulenfeindliche Übergriffe islamischer
Jugendlicher, über Ressentiments und die Schwulenfeindlichkeit des Islam.
Zu dieser Thematik erscheint bei Männerschwarm Georg Klauda: Die Vertreibung
aus dem Serail. Der Titel gehe einerseits sehr gründlich
in die Geschichte, greife aber nicht zuletzt sehr streitbar, durchaus
auch polemisch, in aktuelle Debatten ein. Weil der Band erst in
letzter Minute fertig werde, stellte Grumbach den ersten Satz-Durchlauf,
also ohne alle Korrekturen, sicher noch mit vielen Fehlern, zum Download
auf der Verlags-Website ins Netz und wünschte sich im Vorfeld der
Messe Resonanz und Diskussionen!
Eine Internetrecherche Ende Oktober zeigt, daß Grumbachs
Wunsch nicht ganz in Erfüllung ging. Was bedauerlich ist, denn Klaudas
Buch hat mit Anhang zwar gerade mal 170 Seiten, aber auf denen knallts
und schepperts ganz famos, und das auf hohem theoretischen Niveau. Zwar
ist der Titel aktuell in verschiedenen Shops und Foren als Neuerscheinung
angekündigt, doch selbst bei F*cking Queers, dem Internetblog
für sexuelle Desintegration, ist die Debatte über das wichtigste
Szene-Sachbuch seit langem in ziemlich weiter Ferne. Eine längere Rezension
verfaßte indes Salih Alexander Wolter für das kleine Oldenburger
Magazin Rosige Zeiten, vorab online gestellt unter www.schwule-seite.de/rezension-klauda.htm.
Für die kommerziellen Szeneblätter dürfte der freche Band jedoch
absolut tabu sein, denn Klauda teilt ordentlich aus in Richtung der üblichen
Moslemfresser aus der Homoszene, angefangen vom Lesben- und Schwulenverband
(LSVD), über das schwule Antigewaltprojekt Maneo in Berlin und die Nationalfeministinnen
um Halina Bendkowski bis hin zu den gewohnheitsmäßigen Schreibtischtätern
in der Berliner Rudi-Dutschke-Straße.
Der tageszeitungs-Redakteur Jan Feddersen bekommt demgemäß
gleich auf Seite zwei der Einleitung einen vor den Latz geknallt. Im taz-Artikel
Was guckst du? Bist Du schwul? hatte Feddersen im Jahr 2003 reichlich
grund- und ahnungslos die Zivilisierung des Vormodernen verlangt.
Zivilisiert werden müßten nach Feddersen junge Männer,
die im weitesten (! Gigi) Sinne dem muslimischen Kulturkreis
zuzurechnen (! Gigi) sind. Jene Menschengruppe also, die
wachsende Teile der Homoszene von Feddersen publizistisch angefeuert
als ethisch zurückgebliebene Schulschwänzer mit Hauptbeschäftigung
Schwulenklatschen halluzinieren. Gegen diese Konstruktion von Lesben-
und Schwulenfeindlichkeit als ein vorzivilisatorisches Relikt,
das zunehmend auf den Fremden und Anderen abgewälzt wird,
nimmt das Buch wissenschaftlich Stellung, wie der Autor im Vorwort (S. 8)
klarstellt. Man darf deshalb sicher sein, daß Klaudas souveräne
Abhandlung von der Szene ausgiebig beschwiegen werden wird. Denn die Sachwalter
des homosexuellen Migrations-Diskurses lieben keine öffentliche Aufregung
um ihre geradezu surrealen Behauptungen (vgl. Deutsche rechts oben,
Gigi Nr. 57).
Als genauer Beobachter der Szene, der darin ohnehin nichts
mehr zu verlieren hat, gönnte sich Klauda deshalb ein bißchen Spaß.
Aus seiner soziologischen Diplomarbeit ist so eine durchweg leidenschaftliche
Schrift entstanden, die bisweilen den Charakter eines geradezu saftigen Tuntenbuchs
nicht verleugnen kann. Staatsfernen Perversen der politischen Linken liefert
es wichtige Denkanstöße und etliche Fakten für die Debatten
der kommenden Jahre. Unversöhnlich ist der Band, zumal der Autor nicht
mit deutlichen Bemerkungen an gewisse Adressaten spart. Etwa die, daß
Vorgänge in der arabischen-islamischen Welt westlichen Beobachtern aufgrund
einer Perspektive, die identitäre Denkformen naturalisiert, nur in einer
die eigene Überlegenheit hervorkehrenden, in letzter Konsequenz rassistischen
Weise zugänglich seien. (S. 22f.) Eine schärfere Absage
an das allgegenwärtige Identitätskonzept als im Kern rassistisch
ist bislang nirgendwo formuliert worden. Nicht ohne ist auch der Hinweis,
daß die Unterscheidung von vermuteten Täter-Nationalitäten
in den Jahresberichten der Schwulen Überfalltelefone nicht das
Geringste zur Vermeidung homophob motivierter Attacken beiträgt,
sondern vielmehr den Blick auf den zugrundeliegenden Mechanismus verstelle:
Homophobie werde demnach von Teilen der Szene als Ausdruck dieser oder
jener kulturellen Tradition gelesen und nicht als Strukturmerkmal der
westlichen Gesellschaft, die Menschen nach sexuellen Identitätskategorien
sortiert. (S. 27) Das kommt der Aufforderungen an Projekte wie
Maneo gleich, den Laden endlich zuzumachen. Seine berufliche Zukunft an Bord
der queertheoretischen Gummiboote des deutschen Universitätsbetriebes
hat Georg Klauda damit wohl kaum befördert, aber Feigheit wird ihm niemand
nachsagen können.
Klauda deckt zunächst eine Reihe beliebter Projektionen
auf, in denen der Orient einerseits als das ganz Andere
des Westens konstruiert, andererseits aber die eigenen Denkformen in der Wahrnehmung
dieses Anderen nie in Zweifel gezogen werden. (S. 9) Dazu
gehöre auch die gewalttätige Schwulenfeindlichkeit mancher
Kreuzberger Jugendlicher, die Leute wie Feddersen nicht als Bestandteil
seiner eigenen Gesellschaft erkennen wollten. Im zweiten Kapitel wirft
der Autor einen Blick auf die religiöse Konstruktion von liwat, dem islamischen
Pendant zum christlichen Sodomiebegriff. Liwat ist das Einführen
des Penis in den Anus einer anderen Person mindestens bis zur Eichel. Die
Exaktheit dieser Bestimmung weist bereits auf ein besonderes Merkmal dieser
Bestimmung hin es handelt sich um eine streng juristische Kategorie,
weniger um ein Werkzeug der moralischen Mobilisierung. Dem entsprechend
seien die Beweismethoden genau festgelegt und machen eine Überführung
wegen liwât äußerst unwahrscheinlich.
Für seine These hat Klauda ein überzeugendes Argument:
Eine Sodomiterverfolgung, gar in Dimensionen, wie sie in der europäischen
Neuzeit also seit etwa dem 15. Jahrhundert stattfand,
habe es im islamischen Herrschaftsbereich nie gegeben. (S. 9)
Historisch gesehen war es nämlich der Westen selbst, der
heteronormative Gewaltverhältnisse mit seinem eigenen Beispiel
inspirierte. (S. 17) Von wegen Vormoderne, Genosse Feddersen:
Die soziologischen Strukturen dessen, was wir heute Homophobie nennen
formten sich gerade erst in der Epoche der Aufklärung heraus.
Im spannenden vorletzten Kapitel zeichnet Klauda nach, wie
in Europa aus geschworenen schließlich warme
Brüder wurden und fortan die in der muslimischen Welt bis heute üblichen
offenen Freundschafts- und sogar Liebesbezeugungen unter Männern eine
Freundschaft als Lebensweise (Foucault) im christlichen Abendland
bis auf weiteres unmöglich machten.
Selbstverständlich leugnet Klauda die aktuelle Schwulenverfolgung
in verschiedenen islamischen Ländern nicht, analysiert sie aber treffend
als Überschneidung zweier Machtformen, nämlich der
Unterscheidung islamischer Juristen zwischen erlaubten und verbotenen Handlungen
sowie der modernen, aus dem westlichen Pathologie-Diskurs übernommenen
Sortierung zwischen normalen und anormalen Subjekten.
Klauda erweist sich als profunder Kenner der Materie. Angesichts
eines Fußnotenapparats von gut dreißig Seiten überrascht
es aber dann doch, daß der im Herbst 2000 im Streit um die inhaltliche
Ausrichtung und Erscheinungsweise demonstrativ aus der Gigi-Redaktion
ausgetretene Autor in seiner Untersuchung zumindest auf den Seiten 18,
28, 49 und 82 Quellen unterschlägt, nur um Gigi nicht nennen zu
müssen. Wissenschaftliches Arbeiten sieht sicher etwas anders aus. Phasenweise
schreibt Klauda sogar derart kunstvoll um Gigi herum, daß einzelne
Kapitel nur verständlich sind, wenn man voraussetzt, daß Klaudas
Leser zugleich langjährige Leser jenes Magazins sind, in welchem die
bei Klauda fehlenden Parts publiziert waren.
So albern und kindisch das anmutet, es schmälert nicht die Freude an der unter sicher schwierigen Bedingungen (oder mit einem Geflügelten Wort Georg Klaudas: auf meinen blutigen Knochen) vollbrachten Analyse. Deren Titel übrigens auf Mozarts komische Oper Die Vertreibung aus dem Serail von 1782 verweist. Der Stoff spielt mit dem zeitgenössischen Enthusiasmus für die exotische Kultur der Türkei, erläutert Wikipedia, einem Land, das noch kurze Zeit zuvor eine militärische Bedrohung für Österreich dargestellt hatte und somit für die Wiener von pikantem Interesse war.