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Ethno-Pop aus Uppsala


„Vielfalt ist ein Weg!“ –Ein Weg für Unternehmen, ihr Image bei der Kundschaft zu verbessern und ihr mehr Geld aus der Tasche zu ziehen, ein Weg auch, die Motivation der Belegschaft und damit ihre Bereitschaft zu erhöhen, sich noch ein bißchen mehr ausbeuten zu lassen. In Zeiten, da sich jedwede Gesetzesinitiative an arbeitsmarkt- und standortpolitischen Zielen messen lassen muß – und erst recht im Wahlkampf –, investiert eine rot-grüne Landesregierung auf Abruf gern in jene obskure „Vielfalt“. Wie eine Fachtagung im Düsseldorfer Innenministerium bei der Suche nach Antidiskriminierungspolitik auf dem Sklavenmarkt strandete, erlebte Dirk Ruder

Zehn Tage vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl am 22. Mai fand im SPD-geführten Innenminsterium die Konferenz „Vielfalt ist ein Weg!“ statt. Es sollte um „Diversity und Antidiskriminierung in Verbänden, öffentlicher Verwaltung und Unternehmen“ gehen. „Zur Überwindung von Diskriminierung wird eine ‘Kultur der Vielfalt’ als förderlich betrachtet und in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen erprobt. Vor allem Unternehmen setzen Diversity-Management als zielgerichtete Strategie zur Förderung von Vielfalt ein“, lockten die Veranstalter eines Vereins namens „zoom – Gesellschaft für prospektive Entwicklungen e.V.“ diverse Antidiskriminierungs- und Migrationsprojekte nach Düsseldorf und fragten: „In welchem Verhältnis steht der Ansatz der zielgruppenübergreifenden Antidiskriminierung zu Diversity-Ansätzen?“

In der diplomatischen Sprache der Politik dienen solche – selbstverständlich rein zufällig kurz vor dem Ende einer Legislaturperiode von vermeintlich „unabhängiger“ Seite anberaumten – Tagungen dazu, die anwesenden Multiplikatoren diskret an unschöne Folgen eines möglichen Regierungswechsels hinsichtlich der weiteren Landesfinanzierung der geladenen Projekte zu erinnern. Als lesbisch-schwule Szenevereine nicht entgehen lassen wollten sich das Spektakel die „Landesarbeitsgemeinschaft Lesben in NRW“, die AIDS-Hilfen Düsseldorf sowie Duisburg/Kreis Wesel, die „Rosa Strippe“ aus Bochum und die „Schwule Initiative Siegen“ (SIS), die Gruppe „Lila Lesben“ aus Moers, die HomopolizistInnen vom NRW-„Velspol“ und das lesbische Anti-Gewalt-Netzwerk „Broken Rainbow“ aus dem hessischen Frankfurt am Main. Aus Köln war mit etwas Infomaterial lediglich Michael Stubers drollige Homo-Wirtschaftsberatungsagentur „Ungleich besser“ angereist, die vormals unter dem sprechenden namen – vormals „Mist Consulting“ operierte (vgl. Schwerpunkt zum Gay Marketing in Gigi Nr. 26). Ingsgesamt fanden sich unter den mehr als hundert Gästen zahlreiche Firmen und Vereine, angefangen von Global Playern wie Bertelsmann über lokale Migrantengruppierungen wie der „Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland e.V.“, dazu etliche zum ungeliebten Außentermin verdonnerte Beamte aus Stadtverwaltungen zwischen Werdohl und Wülfrath. Entsprechend schwankte das Programm zwischen provinzieller Exotik und weltläufiger Belanglosigkeit.

Als Referentin zum Thema „Vielfalt fördern in der Verwaltung“ hatte die Konferenzregie – wohl mangels heimischer Ressourcen – eine schwedische Dame von der Stadtverwaltung aus Uppsala eingeflogen, die rasch ein paar Folien mit kommunalen Absichtserklärungen auf den Projektor warf und sodann feststellte, in dem nördlich von Stockholm gelegenen Städtchen sei man in Sachen Antidiskriminierung und Chancengleichheit doch schon ordentlich weit gekommen. Genaueres wußte die Verhaltensforscherin auf Nachfragen allerdings nicht anzugeben. Zuvor hatte Peter Döge vom Berliner „Institut für anwendungsorientierte Innovations- und Zukunftsforschung“ seinem Referat „Von der Antidiskriminierungsarbeit zur produktiven Gestaltung von Vielfalt“ den Charme eines betrieblichen Motivationstrainings verliehen. Merke: Diversity macht sich unglaubwürdig, wenn das Management auf Firmenfesten trotzdem wie gehabt über Ausländer herzieht. Eher zwiespältig auch Claudia Maysun-Jabbours Erläuterungen zur zielgruppenorientierten Antidiskriminierung beim „Siegener Netzwerk zur horizontalen Andiskriminierungsarbeit“. Der etwas farblose Vortrag ließ mitunter die Befürchtung aufkommen, daß zeitlich befristete und überdies schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse SozialarbeiterInnen unter Umständen dazu verleiten könnten, immer neue und komplexere Diskriminierungsformen zu orten, gegen die es dann weitere Projekte zu installieren gilt, für deren Betrieb wiederum sie die unentbehrlichen Fachleute sind. Auf die naheliegende Frage, ob bei den von Benachteiligung Betroffenen nicht unbeabsichtigterweise auch anti-emanzipatorische Prozesse gefördert werden, wenn individuelle Diskriminierungserfahrungen flächendeckend in die vorgebliche „Zuständigkeit“ von solchen Antidiskriminierungsprojekten abgegeben werden (sollen), kam während der Tagung allerdings niemand.

Lufthansa, Ford & Deutsche Bank: Es gibt kein Recht auf Diversity

Wirklich spannend wurde es erst zum Schluß, als die Hamburger Ethnologin Kerstin Römhildt als letzte Referntin die Ergebnisse ihrer Studie zu „Vielfalt in Unternehmen“ vorstellte. Römhildt, deren von der Bundesregierung aus EU-Mitteln finanzierte Stelle als Leiterin des Xenos-Migrantionsprojektes „diversity hamburg“ bedauerlicherweise zum Jahresende ausläuft, untersuchte beispielhaft Diversity-Konzepte bei den Unternehmen Lufthansa, Ford, Deutscher Bank und – ein positives und wirklich überzeugendes Beispiel war für die Untersuchung wohl psychologisch unentbehrlich – beim Westdeutschen Rundfunk in Köln. Obwohl Römhildt ihre Informationen ausschließlich von den Management- und Diversityberatern der jeweiligen Unternehmen sowie aus firmeneigenen Selbstdarstellungen bezog, fiel das Ergebnis in den ersten drei Fällen recht nüchtern aus: Ein Recht auf Diversity gibt es nicht. Schlimmer noch: Unternehmen, vor allem wenn sie global agieren, suchen sich ihre Diversity-Themen durchweg nach Image-Gesichtspunkten aus. Firmenintern sollen, so Römhildt, betriebliche Diversity-Konzepte die Mitarbeitermotivation steigern, extern böte die Propagierung von „Unternehmensvielfalt“ auf weltweiten Absatzmärkten einen enormen PR-Gewinn, der sich nicht zuletzt als Kaufanreiz bei potentiellen Kunden realisiere. Römhildt betonte, es sei ein Irrtum anzunehmen, Unternehmen führten Diversity „allein aus sozialen Gesichtspunkten“ ein: „Man sollte nicht leugnen, daß es in erster Linie um Gewinnsteigerung geht.“

Diversity, Image & Telekom: Profit ist nicht unanständig

In der sich an Römhildts Vortrag anschließenden unvermeidlichen „Eperten“-Diskussion mochte Doritha Arens-Bläser vom Fachbereich Chancengleichheit und Diversity bei der Deutschen Telekom diesen Umstand auch gar nicht abstreiten: Selbstverständlich gehe es um die Steigerung des Unternehmensprofits, „und das ist auch nichts Unanständiges“.

Immerhin hatte Kerstin Römhildt den tatsächlichen Stellenwert betrieblicher Diversity-Politik vor abschließenden Plauderrunde mit ein paar nüchternen Fakten nachhaltig zurechtgerückt: So überwachen bei in der Lufthansa-Zentrale ganze sieben Mitarbeiter die Diversity-Politik des Unternehmens – weltweit! Bei Ford in Köln seien in Sachen Vielfalt „zwei Personen beratend und intervenierend“ tätig. Die beiden Unternehmen, wie auch die Deutsche Bank, verfügten allerdings nicht einmal über entsprechende Betriebsvereinbarungen: Diversity werde durchweg auf der Ebene unverbindlicher Selbstverpflichtungen zu „Fairness“ und „partnerschaftlichem Verhalten am Arbeitsplatz“ abgehandelt. Daß Diversity noch keinen einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz für Behinderte geschaffen und Diversity vor dem Hintergrund einer „Ausdünnung des Arbeitsmarktes“ wohl kaum Jobs für ältere Arbeitnehmer herbeizaubere, ergänzten skeptische Teilnehmer aus dem Pubikum. Wirklich euphorisch zeigte sich nur Thomas Wengemeyer von der Homogruppe „Ford Globe“: „Was da bei Ford in den letzten Jahren abgegangen ist, hat mich überrascht. Das Leben ist lockerer geworden.“

Spätestens hier fiel auf, daß (staatliche) Antidiskriminierungspolitik und (betriebliche) Diversity-Maßnahmen doch eigentlich recht wenig miteinander zu tun haben. Während Unternehmen wie die Telekom ihre zwanglose Imagepflege inzwischen mit marketingtypischen Euphemismen wie „Work-Life-Balance“ und „Business Excellence“ umkränzen oder, wie Ford, mit dem Begriff „Ethno-Marketing“ tarnen, was im Kapitalismus genauso gut Sklavenmarkt geheißen werden könnte, machte das ehrenamtlich erarbeitete und von Ruth Forster vorgestellte Antidiskrimierungskonzept der SPD-nahen Arbeiterwohlfahrt deutlich, vor welche überraschenden Probleme sich selbst eine offensive und ehrliche Antidiskriminierungspolitik am Arbeitsplatz gestellt sieht: „Zu Beginn der Umsetzung (Stand 30.09.2002) arbeiteten in der Bundesgeschäftsstelle 133 Menschen, davon 90 Fauen und 43 Männer. In Führungspositionen befanden sich 14 Personen, davon drei Frauen. Fünf Personen leben mit einer Behinderung im Sinne des Schwerbehindertengesetzes beziehungsweise haben dies angegeben. Religiöse Zugehörigkeit läßt sich lediglich beschränkt auf die steuerpflichtige Zugehörigkeit zu einer der beiden großen christlichen Religionen beschreiben, wobei 27 evangelisch und 43 katholisch sind. Alle anderen haben keinen Kirchensteuerabzug, wodurch sich anhand der vorliegenden Daten eine eventuelle Religionszugehörigkeit nicht nachvollziehen läßt ... Der Migrationshintergrund ist datenmäßig nicht erfaßt. Zur sexuellen Identität der Beschäftigten kann ebenfalls keine Aussage getroffen werden.“ – Wollte man diesbezügliche Antidiskrimimierungserfolge konkret nachweisen, müßte ein Betrieb nämlich all diese Persönlichkeitsmerkmale vorher in den Personalakten erfassen.