Langsam!
Langsam! Langsam!, gebot mein langjähriger Kammervorsitzender beim
Arbeitsgericht Berlin, Klaus von Feldmann, immer dann, wenn eine der Parteien
zu forsch vorpreschte und so dem Gericht und der Öffentlichkeit den Eindruck
vermittelte, die ganze mündliche Verhandlung sei nur eine Formsache,
eigentlich stehe der Ausgang der Streitigkeit ja ohnehin schon fest.
Eine Ordensverleihung
aber, Frau Dr. Knake-Werner, ist ein herausragender hoheitlicher Akt, der
erst mit der Aushändigung erfolgreich abgeschlossen werden kann. So zumindest
belehrte mich Ihr persönlicher Referent, Matthias Birkwald, weshalb wir
heute hier sind. Zu den damit verbundenen Problematiken habe ich mich zuletzt
am 25. Juli 2000 in ähnlicher Runde im großen Sitzungssaal der
Schwulenberatung Berlin äußern und verantworten müssen. Damals
erhielt ich mit der Bundesverdienstmedaille noch eine Bewährungsstrafe.
Sehr geehrte
Frau Senatorin, verehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und
Freunde,
die mit der Einladung zum heutigen Termin mir zur Last gelegten Taten lesen
sich wie die Anklageschrift für einen notorischen Wiederholungstäter.
Kein Zweifel, die meisten sprechen gegen mich. Obwohl sie von mir uneingeschränkt
gestanden werden, sind sie teilweise so schwerwiegend, daß ich in diesem
Verfahren schon aus generalpräventiven Gründen nicht mit einem blauen
Auge davon kommen darf.
Der Kabarettist
Dietrich Kittner meinte einmal im Zusammenhang mit der vom Historiker Helmut
Kohl eingeforderten Gnade der späten Geburt, Gnade sei unverdiente
Milde. Ich bin kein Historiker. Da mir aber wie vor fünf Jahren
auch in diesem Prozeß das letzte Wort zusteht, will ich mein ungeheuerliches
Fehlverhalten exemplarisch knapp erläutern dürfen, ohne erneut in
die Beweisaufnahme einzutreten.
Bei den
meisten meiner Verfehlungen hatte ich Mittäterinnen oder Mittäter,
die sich heute hier im Publikum verstecken. Aber keine Angst (blinzelt)
ich werde niemanden verraten, sondern übernehme die alleinige politische
Verantwortung! Ohnehin handelt es sich bei nicht wenigen meiner Einzeltaten
um untaugliche Versuche:
So sollte
ich den seinerzeit für die Außendarstellung des THW-Ortsverbandes
Tempelhof-Schöneberg Zuständigen eigentlich nur mit sach- und fachkundigen
Hinweisen beraten. Doch dann fing es furchtbar an zu regnen und ich befand
mich plötzlich im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Da ich meine Sache
gut machte, wurde mir ein Disziplinarverfahren wegen angeblicher Beleidigung
des Dienstherrn in Aussicht gestellt. Ich vermute mal, weil ich in dem
Interview, das ich der Tageszeitung junge Welt am 30. August 2002 zur
Hochwasserkatastrophe an der Elbe gab, sowohl Bundesinnenminister Otto Schily
als auch THW-Präsident Georg Thiel namentlich zu erwähnen vergaß.
Doch dann kam alles anders. Am Folgetag wurde die Pressestelle in der THW-Einsatzleitung
Berlin aufgelöst und statt eines Disziplinarverfahrens erhielt ich fünf
Orden und Ehrenzeichen von Bund und Ländern. Es hat also alles nichts
genützt.
Nicht viel besser erging es mir bei der DLRG. Hatte man mir Ende der Neunziger Jahre in Berlin wenigstens noch ein verbandsinternes Ehrengerichtsverfahren versprochen, falls ich weiterhin als Rettungsschwimmer und praktizierender Homosexueller öffentlich und also verbandsschädigend in Erscheinung treten sollte, berief man mich bald darauf in eine Arbeitsgruppe der DLRG-Jugend nach Bad Nenndorf. Mit deren Ergebnissen wollte das Bundespräsidium um Vize Detlev Mohr herum pädophilen Mitgliedern innerhalb dieses persönlichkeitsprägenden Schwimmclubs den Garaus machen. Leider arbeiteten Natalie Ederer und ich sexualpolitisch sehr professionell, so daß unsere Ergebnisse sich nicht mit den Zielvorgaben deckten. Die im 13. Protokoll unserer AG vorgenommene Auswertung vom April 2004 dokumentiert zwar sehr differenziert, warum das aus fachwissenschaftlicher Sicht gar nicht anders kommen durfte. Da sie aber mit mehr als zehn Seiten vermutlich zu textlastig ausgefallen ist, wurde sie vom Bundesjugendsekretariat bislang nicht verteilt, sondern verschwand in dessen Giftschrank. Statt konkreter Maßnahmen zur Förderung selbstbestimmter Kinder- und Jugendsexualität macht man dort nun in Gender Mainstreaming, um zur Belohnung Gelder aus dem Jugendplan von Bundesfamilienministerin Renate Schmidt zu kassieren. Es hat also alles nichts genützt.
Ein ähnliches
Schicksal erlitt meine an der Führungsakademie des Deutschen Sportbundes
erstellte und dort hoch gelobte Ausarbeitung über Möglichkeiten
der Qualitätsverbesserung und Qualitätssicherung der Jugendarbeit
für Schwule und Lesben im DLRG-Landesverband Berlin auf der Grundlage
der Brettschneider-Studie und unter Berücksichtigung sexualwissenschaftlicher
Erkenntnisse. Sie basiert auf der Theorie der menschlichen Dummheit
meines Lieblingsphilosophen Carlo M. Cipolla und den fünf Prinzipien
seiner Theorie. Diese Handreiche geriet ziemlich instruktiv und wartet vielleicht
deshalb schon seit einigen Jahren auf Umsetzung durch den Landesverbandspräsidenten,
Ex-General Hans Speidel, und seine Gremien. Es hat also alles nichts genützt.
Ebenso
wenig Zuspruch erntete mein Beitrag Braune Spuren in der Badehose
zum 90. Geburtstag dieser Hilfsorganisation. Richtungsweisende Fakten
verschwieg ich darin keineswegs. Beispielsweise, daß sich diese Institution
schon 1933 als eine der ersten nach der Machterteilung für judenfrei
erklärte und die DLRG unter SS-Brigadegeneral Franz Breithaupt als Präsident
sogar in den von Deutschland überfallenen Nachbarländern wirkte
wenn dieser nicht gerade mit der Leitung seiner Lebensrettungsgemeinschaft
beschäftigt war, betätigte er sich als SS-Standortältester
im KZ Oranienburg oder als Chef des Hauptamtes SS-Gericht. Zwar bin ich aus
dem sogenannten Bonzenverzeichnis klammheimlich entfernt worden, als Vorstandsassistent
meiner Gliederung bislang jedoch nicht wieder entbunden. Es hat also alles
nichts genützt.
Als bestenfalls
groben Unfug betrachte ich mein Unwesen in der ehrenamtlichen Seniorenbetreuung
der öffentlichen Verwaltung meines Wohnbezirks, mein Nichtstun beim hiesigen
Stricherprojekt und meine verdrängten Freizeitaktivitäten in einem
inzwischen aufgelösten Lokalparlament. Hier gilt ebenfalls: Es hat alles
nichts genützt. Ich verspreche also: All diesen Unsinn werde ich einstellen
und nicht wiederholen!
Doch auch
untaugliche Versuche sind strafbar, wie ich als Hauptschöffe am Landgericht
Berlin lernte. Insofern erscheint die Entscheidung des Herrn Bundespräsidenten
vom Aschermittwoch durchaus gerechtfertigt.
Keinesfalls Bagatelldelikte, sondern unverzeihliche Überzeugungstaten begehe ich allerdings fortgesetzt seit Juli 2000 im wissenschaftlich-humanitären komitee (whk) und in der vom whk edierten Gigi. Dabei handelt es sich um die einzige Zeitschrift für sexuelle Emanzipation im deutschen Sprachraum. Einzelheiten ergeben sich weniger aus meinem polizeilichen Führungszeugnis als aus der Übersicht meiner Arbeiten in der Dataspace-Infoladen-Datenbank Nadir oder den whk- und Gigi-Homepages.
Nicht
zuletzt im Zuge Ihrer eigenwilligen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
zum heutigen Termin (1) drängt sich daher für mich zunehmend
die Überlegung auf, wie diese beiden vorbildlichen, von mir vertretenen
Einrichtungen und meine Person vor weiterer Beschädigung bewahrt werden
können.
Da ich
bislang nicht straffällig geworden bin, taucht bezüglich des Strafmaßes
also die Frage auf: Kann ich diese Auszeichnung überhaupt annehmen, ohne
politisch unglaubwürdig zu werden? Ruinierte ich mit meiner Eitelkeit
nicht meinen Lebenslauf? Beleidigte ich damit womöglich die Arbeit der
übrigen Gigi-Autoren und whk-Aktivisten? Wirkte meine jahrelange
Kritik am Ausbeutungscharakter dieses Systems auf die von mir vertretenen
Leidtragenden nicht zu Recht unanständig, wiese ich die paralysierende
Hand meines politischen Gegners jetzt nicht zurück? Wie so etwas zu Recht
endete, illustrierte die Gigi-Ausgabe 23 schwerpunktmäßig. (2)
Bei Rosa
Luxemburg: Kann ich, Frau Dr. Knake-Werner, aus der Hand eines in eine
bürgerliche Regierung eingetretenen sozialistischen Elements,
einer Kommunistin, dieses Bundesverdienstkreuz annehmen? Lasse ich mich als
Vorbild mißbrauchen und in ihr Tun einbinden von Einrichtungen und politischen
Gegnern, die ansonsten doch meine Lebensleistung und meine gesellschaftskritischen
Positionen verunglimpfen? Oder will ich doch lieber loyaler Anwalt der Opfer
des Kapitals bleiben? Diese taktische Frage beantwortete die spätere
Mitgründerin der Kommunistischen Partei Deutschlands bereits am 6. Juli
1899 in der Leipziger Volkszeitung so klar, daß ich mich strafmildernd
gern darauf berufe. Andernfalls wäre ich ein nichtswürdiger Opportunist.
Folglich gibt es neben den von mir dargelegten Strafaussetzungsgründen,
das heißt dem konsequenten Fortsetzen meiner Arbeit für whk und
Gigi, nur eine widerspruchsfreie Alternative zum angedrohten Urteil.
Erst kürzlich
schrieb mir der Präsident des Landessozialgerichts für das Land
Brandenburg: Auf Vorschlag des Sozialverbandes Deutschland, Landesverband
Berlin-Brandenburg, SoVD berufe ich Sie ... mit Wirkung vom
1. Mai 2005 für die Dauer von fünf Jahren zum ehrenamtlichen
Richter für die Angelegenheiten der Sozial- und Arbeitslosenversicherung
(bzw.) Grundsicherung für Arbeitsuchende aus dem Kreis der Versicherten
(bzw.) Arbeitnehmer am Landessozialgericht für das Land Brandenburg.
Ich weiß nicht, ob ich dazu konditionell noch in der Lage sein werde.
Daher bitte ich die hier Anwesenden, mit mir statt auf die nun doch nicht erfolgte Aushändigung des Bundesverdienstkreuzes jetzt besser auf meine gemeinnützige Arbeit auf sozialrechtlichem Gebiet anzustoßen praktisch als Fortsetzung meiner tätigen Reue, die ich vor mehr als vier Jahren nicht erst am Sozialgericht Potsdam begann. Parallel wird die Imbißverkostung durch Sabine Neumann vom Ausbildungs-Café Palladin und ihrem jugendlichen Serviceteam ermöglicht. Hierbei bitte ich ebenfalls um ein wohlwollendes Urteil. Dankeschön!
* Es geschah nicht.