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Mehr als Accessoires

Filme waren immer ein hervorragender Spiegel zum Aufzeigen oder auch Verbergen unserer Entwicklung als Individuen und Gemeinschaften. Sie reflektieren den Zustand unserer sozialen Strukturen wie auch die Beziehung zu unserem Körper und uns selbst. Da der filmische Zeuge des sozialen Wandels diesen Spiegel auch kreiert und konstruiert, macht er den Film als solchen zum wichtigen und mächtigen Instrument für eine sich wandelnde Gesellschaft, und in letzter Zeit auch in der Definition von Geschlechteraneignungen, die aus dem Rahmen des Mainstream fallen. Überlegungen zur „Tapferen Neue Welt“ (1) in den Transgender-Produktionen der Saison von Brixton Brady


Der Wert von Filmen ist besonders hoch für Gemeinschaften und Personen, die der gewöhnlichen Darstellung entgehen (hier: transgender). Er ist ein einzigartiges Forum zur Behauptung der eigenen Trans-Identitäten – mit eigener Stimme reden zu können. Als Medium hat er die Macht, gesunde Prototypen zu etablieren in einer Gemeinschaft, die keine hat.
Die Gefahr dabei ist jedoch, daß mit dem weiter werdenden Netz des ‘Mainstream’ auch die Risiken falscher Aneignung wachsen. Unsere Geschichten sind auf einmal ‘Mode der Saison’ im siegreichen Mainstream, der unsere Leben durchforstet auf der Suche nach etwas Schockierendem oder Anderem, um deren monotonem Geleier etwas Geschmack zu verleihen. Standardisiertes, von Auslassungen gekennzeichnetes Transgender-Material (wie das Ende von Mrs. Doubtfire) ist zu einem akzeptablen Vorkommen in einer Fülle von Filmen der letzten Jahre geworden. Statt unser Verständnis verschiedener Gender-Optionen zu verbreitern, Weitblick und Farbe hinzuzufügen, verengen diese Filme das Thema potentiell zur Farce. Das Subversive in ihnen erschöpft sich im Eintauschen von Hosen gegen Röcke. Heteronormative Dominanz bleibt unangetastet, der Transgender-Repräsentation wird die Kraft genommen und sie wird auf die Komik eines Mannes in einem Kleid reduziert – Gender-Identität reduziert auf Gender- Stereotypen. Ebenso wie Prostitution im Film als dramaturgisches Mittel genutzt wurde, um Frauen und ihren Platz in der Gesellschaft zu untersuchen (sehr gut repräsentiert auf der diesjährigen Berlinale), ist die allgegenwärtige Tunte zum synonymem Werkzeug der Untersuchung unserer Haltungen zu Gender und Konformität geworden. Die Mainstream-Repräsentation ist also eingleisig geworden und verwechselt Transgender mit einer gewissen Vorstellung von Show. Während Kleiderwechsel auf einer Show-Ebene stattfindet, ist Transgender eine Lebenserfahrung und hat nichts zu tun mit einer pompösen blauen Perücke und Stöckeln der Größe 46, die am Ende der Show fallen.

Die Darstellung von Transgender folgte in den letzten Jahren traurigerweise dem Muster der frühen lesbisch-schwulen Filme: tragisch und verdammt (der Protagonist in Boys don’t Cry ist ebenso verdammt wie die Protagonistinnen in Infam von 1961). Daher war es eine Erleichterung, eine Änderung dieses Trends und die Aufnahme von Filmen mit positiven selbstdefinierten Transgender-Figuren in der diesjährigen Berlinale zu sehen: eine Gesellschaft im Fluß, festgehalten in Filmen. Filmen, in denen Transgender nicht das Hauptaugenmerk oder Problem waren, sondern ein realer und vitaler Part des Drehbuchs. Falls sich dieser Trend fortsetzt, sehen wir vielleicht noch in unserer Lebenszeit das Ende von Transgender als Accessoire und statt dessen nuancierte, vielfältige Darstellungen wie in By Hook Or By Crook oder dem diesjährigen Teddy-Gewinner Wild Side (der auch den Manfred Salzgeber Preis als ‘innovativer europäischer Film’ bekam). Wild Side von Sébastien Lifshitz ist ein grenzüberschreitender Film – sanft, leise und mit eiserner Kraft. Ein Film, der sich selber bloßlegt und gewissermaßen provoziert, die eigenen Mauern zu überwinden. Beginnend mit Antonys ergreifender Interpretation von ‘I’m in love with a dead boy’, der Stephanie (eine transsexuelle Frau, gespielt von Stephanie Michelini) zusieht, macht der Film sein Programm von vornherein deutlich. Die Kraft von Stephanies Blick wird in der Szene gespiegelt, in der die Kamera liebevoll von ihrem Gesicht runterfährt zu ihrem Penis. Die Enthüllung ist eine Absichtserklärung und wirft den Betrachter aus der Bahn seiner vorgefertigten Ideen und Begrenzungen von Gender-Normen: ein Penis nimmt Stephanies Wahl, eine transsexuelle Frau zu werden, nicht die Ernsthaftigkeit, sondern hinterfragt unsere Fixierung, nach starren Regeln und veralteten Kriterien einzusortieren und zu beurteilen. Das macht Wild Side zum perfekten subversiven Film; er erweitert das Bewußtsein, ohne daß wir es merken. Drei der vier Hauptfiguren (Stephanie und ihr Geliebter Mikhail, der russische Deserteur, und ihr gemeinsamer Geliebter Jamil, ein nordafrikanischer Prostituierter) nutzen ihren angenommenen Außenseiter-Status, um eine neue Familienstruktur zu erforschen, zu entdecken und aufzubauen. Dieser Dreier ist vital, lebendig und adaptionsfähig für Veränderungen – während die vierte Figur (Stephanies sterbende Mutter) fest in der unveränderlichen toten Vergangenheit verwurzelt ist. Die latente Traurigkeit der Mutter ob ihrer Unfähigkeit zur Adaption an eine sich verändernde Welt ist schmerzhaft anzusehen. Wie Rimbauds „Ich begreife, und da ich nur reden kann wie ein Heide, möchte ich schweigen.“ Wild Side ist erzählt in exquisiter Harmonie von Stimmungen und Bildern, mit nur sparsamem, wegweisenden Dialog.

Der Vergleich von Wild Side als Transgender-Film westlicher Kultur mit den diesjährigen asiatischen Transgender-Filmen ist auf mehreren Ebenen interessant. Während Wild Side ein gewissermaßen privater Film ist, ein Kammerspiel um emotionale Befindlichkeiten, sind Beautiful Boxer und The Adventure of Iron Pussy direkter zugänglich, zeigen vertrautere, alltäglichere Dinge. Vor drei Jahren gab es Sa Tree Lex (Iron Ladies), die Geschichte um ein Transgender-Volleyballteam, der zweitgrößte Kassenschlager in der Filmgeschichte Thailands, der vor ausverkauften Häusern in ganz Asien lief. Dieser Film ließ die Grenzen zwischen Trans- und Kleidertausch-Repräsentation verschwimmen. Sein Erfolg ebnete den Weg für weitere Thai-Filme, die eine gesellschaftlich akzeptierte, aber immer noch rechtlose und also verwundbare Gruppe in den Mittelpunkt stellen. Da Transgender ein anerkannter und integraler Bestandteil thailändischen Lebens ist, hat die Darstellung im Film eine andere Funktion und Schattierung als die im Westen. Katoey, wie die Thais Transsexuelle und Transvestiten gleichermaßen nennen, treten nun aus der vom Mainstream beförderten komödienhaften Darstellung im Film heraus und sind in ernsthaften Rollen zu sehen, die die Sichtweise auf diese marginalisierte Gruppe erweitern. Dies markiert einen glücklichen Richtungswechsel und könnte den Weg auch für rechtliche Anerkennung ebnen.

Beautiful Boxer des renommierten Theaterregisseurs Ekachai Uekrongtham ist doppelt bemerkenswert, da es ein Debüt ist und keineswegs Underground-, sondern Mainstream-Film, einfühlsam erzählt mit einer sympathisierenden Haltung und voll konzentriert auf seine zentrale Prämisse eines Winks des Schicksals. Beautiful Boxer erzählt die wahre Geschichte von Nong Toom, der bereits als kleiner Junge glaubte, im falschen Körper geboren zu sein. Der Streifen folgt Nong Tooms Entwicklung vom Wandermönch zu einem der größten thailändischen Kickboxer, über ihre öffentliche Verwandlung im Ring zu einem Transgender-Boxer bis hin zu Nong Tooms Geschlechtsumwandlung. Nong Toom gelang es, den männlichsten Sport in Thailand auszuüben und dennoch nicht ihre Weiblichkeit in der Arena zu verlieren. Beautiful Boxer ist es gelungen, das respektvoll zu reflektieren.

Die Berlinale 2004 zeigte neben Beautiful Boxer auch The Adventure of Iron Pussy von Apichatpong Weerasethakul und Michael Shaowanasai (ebenfalls von GMM Grammy produziert) und erweiterte so unseren Blick auf Spektrum und Tiefe von Katoey-Darstellungen im Thai-Film. Auch wenn Spezialagent Iron Pussys singende und tanzende Aufdeckung der Drogen-Herkunft des geheimen Reichtums von Henry (des Geliebten einer Dame der Gesellschaft) selten über eine harmlose Camp-Tollerei hinauskommt, liegt seine Nützlichkeit in der Gabe, illustrierend herauszuarbeiten, wie viele Ebenen die Trans-Repräsentierung im Film entwickelt hat. Wie der alte Virginia-Slims-Werbespruch „Baby, you’ve come a long way“ (2), ist er fast altmodisch charmant in seiner Fähigkeit, den Mainstream, an den er vermarktet wird, aufs Korn zu nehmen. Im Duett mit Beautiful Boxer erweitert er die Grenzen der Trans-Repräsentation gerade genug, um etwas Licht hereinscheinen zu lassen. Das grüne Licht am Ende des Docks könnte eine Illusion sein, aber auch der Beginn einer weiteren, gesünderen und komplexeren Darstellung verschiedener Geschlechteraneignungen im Film. – Ich hoffe es zumindest.

Übersetzung: Ira Kormannshaus

1) Üblicherweise ‘Schöne neue Welt’ übersetzt, heißt Aldous Huxleys Buch im Original jedoch ‘Brave new world’.
2) In etwa: ‘Süße/r, du hast es weit gebracht.’